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Hexenverfolgung in Rheinland-Pfalz

Zustände wie in Memmingen / Staatsanwalt ermittelt gegen Frauenarzt Verdacht auf illegale Abtreibungen / Durchsuchungsbefehl gegen „Pro Familia“  ■  Von Gunhild Schöller

Moderne „Hexenverfolgung“ mit Hilfe des Paragraphen 218, bisher aus dem bayerischen Memmingen bekannt, gibt es nun auch in Rheinland-Pfalz. Mindestens 180 Frauen, vermutlich jedoch mehr, wurden von der Kriminalpolizei nach intimen Details über Abtreibungen vernommen, die sie bei einem Frauenarzt im Raum Neuwied hatten vornehmen lassen. Die Patientinnenkartei dieses Frauenarztes war von der Staatsanwaltschaft Koblenz beschlagnahmt worden. Die Begründung: Verdacht auf Betrug von Krankenkassen mit falschen Abrechnungen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen diesen Arzt, der zur ambulanten Abtreibung zugelassen ist, wegen des Verdachts auf illegalen Schwangerschaftsabbruch. In 180 Fällen genügte der Indikationsnachweis nicht den Kriterien, die die Staatsanwaltschaft selbstherrlich und willkürlich aufstellte. Auch Ärzte, die Indikationen ausstellten und Patientinnen an diesen Arzt überwiesen, wurden in die Ermittlungen hineingezogen. Sie sollten Auskunft geben, welche Indikation sie gegeben hätten und wo sich die entsprechende „Urkunde“ befinde. Gleichzeitig wurden Beratungsstellen von „Pro Familia“ werden in Rheinland-Pfalz kriminalisiert. Ohne rechtliche Grundlage versuchten Staatsanwaltschaft und Kripo, die BeraterInnen ihrer Schweigepflicht zu entbinden und Details über Beratungsgespräche zu erfahren. Die Leiterinnen von Pro Familia in Mainz und Koblenz verweigerten allerdings dennoch die Aussage.

In einem anderen Verfahren wurde die Pro Familia Beratungsstelle in Kaiserslautern von Kripo und Staatsanwaltschaft vor die „Alternative“ gestellt, entweder eine bestimmte Akte über eine Frau herauszugeben oder die ganze Datei beschlagnahmen zu lassen. Pro Familia Kaiserslautern entschied sich für das erstere. Jetzt wird gegen zwei Mitarbeiterinnen ermittelt: Sie hätten am 21. August 87 bei einer Beratung eine ungewollt Schwangere nicht ausreichend auf „soziale Hilfen“ hingewiesen. Im Dezember 86 war die Patientinnenkartei des Frauenarztes in Neuwied mit über 2.000 Karten beschlagnahmt worden. Schon bald ermittelte die Staatsanwaltschaft Koblenz nicht nur wegen Betrugsverdacht gegenüber den Krankenkassen, sondern wegen illegaler Abtreibungen. 1.445 Abbrüche seien auf den Karteikarten vermerkt, wurde festgestellt. Fortsetzung auf Seite 2

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schaft gab die Ermittlungen in dieser Richtung sehr lange nicht offen zu. Auch die Rechtssanwälte des Arztes wurden nicht informiert, sie mußten diese Nachricht in der Zeitung nachlesen. Den Frauen, die von der Kripo vernommen wurden, teilte man mit, sie seien als Zeuginnen geladen, um den Betrugsverdacht gegen den Arzt aufzuhellen. Tatsächlich aber wurden sie - ähnlich wie in Memmingen - mit einem Fragebogen über intime Details befragt. Name und Adresse des „Erzeugers“ sollten sie nennen, und wie er sich zur Schwangerschaft verhalten habe. Über ihre finanzielle Situation sollten sie Auskunft geben und ob die Abtreibung inner- oder außerhalb der 12-Wochen-Frist gewesen sei. Wie in Bayern wurden sie gefragt, ob sie eine Adoption in Betracht gezogen hätten und wie sie heute zu dem Abbruch stünden. Erst zum Schluß stellte der Kripobeamte Fragen zu den Leistungen des Arztes gegenüber der Patientin diejenigen Fragen also, die sich direkt auf den Verdacht des Betruges von Krankenkassen beziehen. Erst nach Beantwortung aller Fragen wurde die Zeugin darauf aufmerksam gemacht, daß sie ein Recht auf Aussageverweigerung hatte.

In allen Fällen, in denen ermittelt wird, wurde der Instanzenweg, den der reformierte Paragraph 218 vorschreibt, eingehalten. Sowohl der Nachweis über eine Beratung als auch die Indikation eines anderen Arztes liegen vor. Allerdings genügt diese Indikation nicht den „Wünschen“ der Staatsanwaltschaft Koblenz. Bei 180 Patientinnen ist die Indikation nur auf der überweisung an den Frauenarzt vermerkt. Nach Auffassung des Staatsanwalts müßte aber ein schriftliches Gutachten oder eine Begründung für die Indikation vorliegen. Davon ist im §218 ff. jedoch nirgendwo die Rede. Nur die schriftliche Form der Indikation ist gefordert, eine formale Struktur wird nicht festgelegt. Gegenüber Ulla Ellerstorfer, der Vorsitzenden von Pro Familia Rheinland-Pfalz/Saarland sagte Justizminister Caesar (FDP), er wolle „nicht Memminger Verhältnisse“ in seinem Lande. Eine öffentliche Stellungnahme zu den Machenschaften der Staatsanwaltschaft in Koblenz gab er allerdings nicht ab. Gestern morgen bestellte er jedoch den ermittelnden Staatsanwalt Lessing zum Rapport in sein Ministerium.

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