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Der-Kehlkopf-von-Zimmer-38

■ Rolf Schübels „Der Indianer“ ist ein authentischer und definitiv kein heiterer Film über einen Kehlkopfkrebs-Kranken und ein Film über die Inhumanität deutscher Krankenhäuser

Es gibt wenige Filmvorführun gen, während derer man sich extrem krank fühlt, so als ob eine unsichtbare Faust sich vom Unterleib direkt in die Halsgegend durchbohrt, dort, wo der Kehlkopf sitzt. Eigentlich keine. Oder nur eine. Die war am Dienstag. Ein Film, bei dem die Zuschauerin Hals über Kopf herauslaufen möchte, um sich, angesichts der cineastischen Schreckensbilder, die das Leben wirklich schrieb, in eine stille Ecke zurückzuziehen, ganz alleine mit dem Gefühl der tödlichen Beklemmung, die das Zelluloid verursacht hat.

Der Film, der einer die Kehle manchmal zuschnürt, heißt „Der Indianer“. Es ist ein authentischer und definitiv kein heiterer Film. Er handelt von Leo Lentz, Jahrgang 1930, Wohnort Hamburg-Eppendorf, der am einem Kehlkopfkarzinom erkrankt ist.

Er weiß es noch nicht, ist aber chronisch heiser und begibt sich in die Poliklinik für Hals-Nasen-und Ohrenkrankheiten. Das Linoleum glänzt. Der junge Arzt kaschiert sein Desinteresse mit Beredsamkeit. Seine obere Gesichtshälfte wirkt amtlich, die untere verabschiedet sich nur noch. Aufnahmen werden gemacht, Gewebeproben entnommen. Die Diagnose wird nüchtern-sachlich konstatiert: „Herr Lentz, Sie haben Kehlkopfkrebs, Sie müssen operiert werden“. So sagen sie es einer. Keine Empathie der Ärzte, nur betroffene Betroffenheit der Freunde. Bei Krebs hört der Spaß auf. Krebs haben immer nur die anderen.

Für die Krankenschwestern, die mit ihrem „Machen-Sie-es -sich-schon-mal-gemütlich„-Blick jeden Neuankömmling routinemäßig abhaken, ist Herr

Lentz der-Kehlkopf-von-Zim- mer-38. Nur noch wenige Stunden bis zur Operation. Die Stimme aus dem Off (Originaltext von Lentz) ist ebenso ungnädig wie die subjektive Kamera. Wir fahren mit in den OP -Raum, zittern auf dem OP-Tisch, haben tödliche Angst. „Sie operieren ja schon - und ich bin noch bei Bewußtsein“. Ja, man wünschte, das eigene Bewußtsein zu verlieren angesichts der Säge, die sich anschickt, den Kehlkopf zu „spalten“. Aber: „Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Lentz“, dröhnt es aus dem Mundschutz des Mechanikers, der die Säge ansetzt. Schnitt. Wir wachen, mit Schläuchen im Halsbereich, wieder auf.

Das Leben geht weiter. Sechs Monate Bestrahlung, Chemotherapie. „Nun fangen wir mal mit der Rasur an“, frotzelt der Radio

loge. Was das heißt, erfährt Lentz nach drei Tagen: Die Chemiebombe verursacht Bartausfall. Herr Doktor, ein Witz. Man möchte selbst die Haare ausreißen angesichts der ärztlichen Gewitztheit, aber nicht die eigenen.

Drei Jahre währt das Glück im Unglück. Dann ist der Patient -von-Zimmer-38 wieder da, der Kehlkopf wird „vollständig entfernt“. „Kopf hoch, Herr Lentz“. Wird schon wieder werden.

Leo Lentz ist kurz vor der Fertigstellung dieses Dokumentarfilms, der nach seiner eigenen Erzählung gedreht wurde, gestorben. Nachdem er seinen Beruf verloren hat, schrieb er, aus Selbsterhaltungstrieb, wie er versichert, seine Krankengeschichte (wie Fritz Zorn, Mars) auf. Sein Bruder, der Produzent Michael Lentz, drückte das fertige Manuskript dem Regisseur Rolf Schü

bel in die Hand, der gerade dabei war, den Film über Jürgen Bartsch („Nachruf auf eine Bestie“) fertigzustellen. „Schon beim ersten Lesen hatte ich ständig Bilder im Kopf. Gänge, Schwenks, Fahrten - alles mit subjektiver Kamera“. Die Umsetzung des Textes in einen Film schien ihm möglich. Er wollte es versuchen.

Rolf Schübel und Leo Lentz schrieben gemeinsam das Drehbuch, bei allen Dreharbeiten war Lentz dabei, in Pamplona, in der Normandie, im Krankenhaus, in seinem ehemaligen Krankenzimmer, im Operationssaal, im Strahlenbunker. Es ist keine einfache Kost, die uns das Gespann offeriert. Bei Krebs hört der Spaß eben auf.

Regina Keichel

Cinema, 21 Uhr

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