Demonstranten vernebelt

■ Vom Versuch der Behörden, einen Atomtransport in Luft aufzulösen / Jeder behauptet etwas anderes - nur das Umweltministerium hat keine Ahnung

Rein rechnerisch hätte er schon da sein können, der Güterwagen der Bundesbahn mit den 24 abgebrannten Brennelementen aus dem bayrischen Versuchsreaktor in Kahl. Immerhin hatte sich der Zug mit dem strahlenden Müll um 17.00 in Bewegung gesetzt. In Erwartung des Transportes hatten sich immerhin gut 300 Leute zur nächtlichen Demonstration in Emden eingefunden, nicht nur Einheimische, wie die Autokennzeichen verrieten; auch 2o Leute aus Brenmen waren dabei.

Wenn die Fracht ankommt, soviel ist klar, soll blockiert werden. Auch die Polizei scheint vorbereitet. Mannschaftswagen, auch aus Bremen, halten sich auf dem Hof des Polizeihauses bereit.

Der Transport der MOX-Brennelemente aus Kahl zum schwedischen Ostseehafen hat hohen Symbolwert, ist es doch vor allem ein Verdienst der Anti-AKW-Bewegung, daß der Lübecker Hafen für den Transport der Brennstäbe nicht mehr zur Verfügung steht.

Nach mehreren Blockaden, die auch von der Lübecker SPD -Regierung mit Wohlwollen gesehen wurden, sah sich die Gesellschaft für Nuklearservice nach einem neuen Hafen um. Bei den vor einer Woche genehmigten Transporten steht also die nächste Runde in der Auseinandersetzung um Atom-Müll -Transporte an.

Allerdings noch nicht, wie von den Emdener Grünen vermutet, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Um Mitternacht herum rufen immer wieder die Demonstranten aus dem Hafen an, um zu erfahren: Kommt er nun oder was? Bei den KordinatotInnen herrscht Ratlosigkeit, die ihren Ausdruck in wilden Spekulationen findet. Irgendjemand hat erzählt, außer den 24 Brennstäben per Bahn sei auch ein LKW mit 12 weiteren Brennelementen unterwegs. Da sei es doch wahrscheinlich, daß der Laster schon in dieser Nacht käme und die Eisenbahnfracht dann am nächsten Tag.

Mit dieser Botschaft braust eine Grüne mit ihrem Wagen in den Hafen, um die DemonstrantInnen neu zu motivieren. Die aber glauben offensichtlich nicht so recht, daß in dieser Nacht noch etwas passiert. Die meisten machen sich von dannen. „Bis morgen, 22.00 Uhr im Grünen-Büro.“

Die Situation wird auch am nächsten Tag nicht übersichtlicher (vgl. S.2). Die zuständigen Behörden, und das sind eine ganze Menge, überbieten sich im Werfen von Nebelkerzen. Die Physikalisch-technische Bundesanstalt behautet, im Prinzip sei jeder Hafen für Atomtransporte geeignet, und diese Möglichkeit ergebe sich auch aus dem Genehmeigungsbescheid. Das Wirtschaftsministerium in Hannover, zuständig für den landeseigenen Emdener Hafen, zieht dagegen nur zwei Häfen in Betracht. Wilhelmshaven und Emden seien beide über einen möglichen Umschlag der Brennelemente informiert worden. Wohin die Fracht

ginge, sei noch nicht festgelegt. Die Bundesbahn in Minden, die den Transport koordiniert, behauptet dagegen, sie wisse genau, wo und wann der Transport ankäme. Und der Bundesbahn -Kollege in Mainz, der für die Abwicklung des Transportes verantwortlich ist, stellt sich dumm: „Wenn es einen Transport gäbe, wären wir zuständig.“

Nur eine Behörde, die es eigentlich genau wissen müßte, weiß von gar nichts: Am Nachmittag findet der niedersächsiche Landtagsabgeordnete der Grünen, Hannes Kempmann, heraus, daß der zuständige Referent des Umweltministeriums von einem Transport noch nichts gehört hat. Kempmann will nun Strafanzeige gegen die Bundesbahn und die Ptb stellen und fordert, daß der Zug sofort zurück nach Kahl geschickt wird. Derweil bereiten sich die Demonstranten in Emden auf die Ankunft der Brennelemente vor. Wenn sie denn kommen.

Holger Bruns-Kösters