: Gorbatschow rügt Ceausescu
■ Gorbatschow zieht alle Register, um den rumänischen Diktator für seine Reformpolitik zu gewinnen / Ceausescu bleibt von Kritik unbeeindruckt /Gorbatschow räumt „Unebenheiten“ ein
Berlin (tass/taz) - „Den Bau an einem gemeinsamen europäischen Haus verbinden wir nicht nur mit der Schaffung eines festen materiellen, wirtschaftlichen Fundaments, sondern auch mit der Schaffung eines soliden rechtlichen Überbaus“, erklärte Michail Gorbatschow anläßlich eines Essens am Mittwoch seinen rumänischen Gästen, dem Diktatorenehepaar Elena und Nicolae Ceausescu. In Anspielung auf das rumänische Umsiedlungsprojekt und der Zerstörung tausender Dörfer beschwor Gorbatschow „die wichtigsten Komponenten der internationalen Gesetzlichkeit“, die in der „UNO-Charta und der Schlußakte von Helsinki“ niedergelegt sind und versuchte Ceausescu davon zu überzeugen, diese Prinzipien auch in Rumänien anzuerkennen. „Der Achtung der Rechte und der Freiheiten eines jeden Bürgers“ müsse Rechnung getragen werden, erklärte der sowjetische Partei und Staatschef und forderte von seinem Gegenüber „den Verzicht auf die Gewalt und die Gewaltanwendung“.
Offensichtlich hat das Reden Gorbatschows kaum Eindruck bei den Rumänen hinterlassen, die gestern aus Moskau abreisten. Denn Ceausescu beharrte auf den unverbrüchlichen „sozialistischen Prinzipien“ in den „Beziehungen beider Länder“. Jede Einmischung von außen bleibt für ihn und seinen Klan unerwünscht. So blieb Gorbatschow nach seiner ersten Geprächsrunde mit Ceausescu denn auch nichts anderes übrig, als die „Unebenheiten“ bei den Beziehungen zwischen den beiden Ländern zuzugeben.
Gorbatschow bedauerte, daß „gewisse sozialistische Länder ihre Probleme im Rahmen bereits bestehender Strukturen und Methoden lösen“ wollten. Er habe zwar Verständnis für nationale Besonderheiten, Traditionen und Prioritäten in der Politik eines Staates, aber angesichts der anstehenden und drängenden Probleme auch der sozialistischen Staatengemeinschaft müßte sich die Kooperation auf allen Gebieten verstärken. „Vor dem Hintergrund der Fortschritte in den politischen Ost-West-Beziehungen“, so hatte er auch in der Tischrede betont,“ wirkt das Zurückbleiben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ in der Sozialistischen Staatengemeinschaft „anachronistisch“. „In nicht ferner Zukunft wird der einheitliche Markt Westeuropas Realität. Es gelte auch „einen eigenen gemeinsamen Markt im Osten Europas“ zu schaffen. Und da müßten alle Sozialistischen Länder an einem Strang ziehen. Das Scheitern eines einzigen Sozialistischen Landes könne zu Verlusten bei allen anderen führen, erklärte Gorbatschow.
Erich Rathfelder
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