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Das Polizeigesetz als deliktträchtiger Raum

Der CDU/FDP-Koalitionsentwurf für ein neues hessisches Polizeigesetz als Ausdruck eines neuen Sicherheitsfanatismus Illegale Polizeipraxis wird legalisiert / Grüne legen einen eigenen Entwurf vor / Parlamentarisches Hearing gefordert  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) - Der von den Koalitionsfraktionen CDU und FDP im hessischen Landtag vorgelegte Entwurf für ein neues hessisches Polizeigesetz ist bei den Oppositionsfraktionen SPD und Grüne als „grotesk“ bezeichnet worden. Nach Auffassung des rechtspolitischen Sprechers der Grünen, Rupert von Plottnitz, sichere der Koalitionsentwurf der Polizei Eingriffsrechte in die Grundrechte hessischer BürgerInnen, die weit über das bislang bekannte „Absichtsmaß“ hinausgingen. Plottnitz: „Unter dem Deckmantel der sogenannten vorbeugenden Verbrechensbekämpfung werden die Bürgerrechte der jeweils von polizeilichen Maßnahmen Betroffenen einem völlig enthemmten und fetischisierten Sicherheitsgedanken geopfert.“ In der Tat legalisiert der nach Auffassung der Union „richtungsweisende“ Entwurf der Regierungsparteien, mit dem der Forderung des Bundesverfassungsgerichts (Volkszählungsurteil) nach einer Novellierung der „Sicherheitsgesetze“ stattgegeben werden soll, derzeit schon angewandte, aber noch illegale Polizeimaßnahmen. Verdeckte Ermittlungen auch gegen Personen, gegen die keine konkreten Verdachtsmomente vorliegen, sollen nach dem Willen der christliberalen Verfasser demnächst ebenso statthaft sein wie das Anlegen von verdachtsunabhängigen Datensammlungen. Unter dem Schutz des neuen juristischen Terminus „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ soll es der Polizei in Zukunft erlaubt sein, ihren „Eingriffsrahmen“ selbst abzustecken. Dazu gehören dann Zwangsvorführungen von Personen, die sich in „deliktträchtigen Räumen“ bewegen, Maßnahmen zur Isolierung von „Verwahrten“ und nicht zu begründende Personenüberprüfungen bei „Gefahr im Verzug“. Was „deliktträchtige Räume“ sind, definiert ausschließlich die Polizei.

Selbst die einschlägigen Paragraphen in der Strafprozeßordnung, die einem Verdächtigen ein Aussageverweigerungsrecht bei einer möglichen Selbstbelastung oder bei der Belastung von Verwandten zugesteht, sollen nach dem Willen von Union und „Freien“ Demokraten den „Wünschen der Polizei“ (CDU) geopfert werden. Der Frankfurter Anwalt und Verfassungsrechtler Sebastian Cobler, der auf Bitten der Grünen im hessischen Landtag gestern eine mündliche „Expertise“ zum Entwurf der Christdemokraten und der Liberalen vorstellte, hält genau diesen Kernpunkt des Entwurfs für „nachgerade lächerlich“ „ganz abgesehen von der Verfassungswidrigkeit“.

Daß es bei dieser Passage des Entwurfs auch in der Praxis zu Durchsetzungsproblemen kommen dürfte, war wohl auch den polizeifreundlichen Verfassern des neuen Gesetzes über die „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ klar. Der Paragraph enthält einen Hinweis darauf, daß die Folter in der Bundesrepublik nach wie vor verboten bleibe.

Damit demnächst in Hessen die Polizei nicht tatsächlich „mit der Moral von Gangstern und Geiselnehmern gegen Gangster und Geiselnehmer vorgeht“ (von Plottnitz), haben die Grünen einen eigenen Entwurf für ein Polizeigesetz vorgelegt. Für Staranwalt Cobler ist es ein Paradoxum, daß ausgerechnet die Grünen in der Bundesrepublik „traditionelles Polizeirecht“ einklagen müssen. Nach „traditionellem“ und rechtlich noch geltendem Polizeirecht dürfe die Polizei nur dort einschreiten, wo tatsächlich Rechtsgüter oder Personen gefährdet seien. Und dieses Rechtsgut gelte es zu erhalten.

Sebastian Cobler und Rupert von Plottnitz sprachen sich für ein parlamentarisches Hearing und für eine „öffentliche Debatte auf höchster Ebene“ zum Thema aus. Die SPD-Fraktion wird diesen Vorschlag offenbar mittragen. Auch die Sozialdemokraten legten ein „alternatives“ Polizeigesetz vor.

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