: Wer will strahlenden Container haben?
■ Niedersachsen wünscht sich höheren Anteil am Nuklearfrachtkuchen / SPD: Landesregierung ist „dienstwillig“ gegenüber Atomwirtschaft / Die Proteste gegen die Verschiffung von Kernbrennstäben in Emden treffen nur die Spitze des Eisbergs
Zwei lange Nächte hatten Hunderte von DemonstrantInnen im Emder Hafen gegen die Verschiffung von hochgiftigen strahlenden Kernbrennstäben protestiert. Doch was in Ostfriesland noch für hitzige Diskussionen und Manifestationen empörter BürgerInnen sorgt, ist in anderen bundesdeutschen Häfen längst gefährliche Routine. Sowohl Hamburg als auch Bremen sind gut drin im Geschäft mit den Accessoires der Atomwirtschaft.
Bis zu 180 melde- und genehmigungspflichtige Seetransporte pro Jahr laufen nach Angabe der Grünen über Bremens Umschlagseinrichtungen. Die Häfen der Hansestädte Bremen und Hamburg wurden von der Aufsichtsbehörde, der Physikalisch -Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig für würdig gehalten, den Umschlag radioaktiven Materials nach den Sicherheitsstandards der Bundesbehörde abzuwickeln. Dritter im Bunde der Atom-Häfen war bis vor kurzem Lübeck -Travemünde. Doch zu Jahresbeginn sorgten Großdemonstrationen und Blockaden dafür, daß die Brennelement-Transporte gestoppt wurden. Lübeck war vor allem mit den skandinavischen Häfen im Atom-Geschäft. Ausgerechnet Emden, der westlichste deutsche Hafen, soll nun offenbar Lübeck ersetzen. Mit juristischen
Argumenten...
Nicht gut zu sprechen auf die Atomtransporte durch Ostfriesland ist auch der in Emden wohnende SPD -Landesvorsitzende Johann Bruns. Um die gefährlichen Frachten zu stoppen, basteln nach Bruns‘ Worten die niedersächsischen Sozialdemokraten an zwei „Rechtskonstruktionen“. Zum einen enthielten die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren das Gebot, die Gefahren für Mensch und Umwelt zu minimieren. Das müsse man auch auf die Länge und das Gefahrenpotential des Verkehrsweges anwenden. Der Seeweg zwischen Schweden und Emden sei der denkbar längste und gefährlichste: Die Deutsche Bucht, die ein Atomfrachter zu durchqueren hat, sei eine der meistbefahren Schiffahrtsstraßen; das Risiko von Havarien sei
entsprechend hoch.
Zum zweiten weist die niedersächsiche SPD darauf hin, daß der Landtag in Schleswig-Holstein noch vor der Neuwahl einstimmig die Regierung in Kiel aufgefordert hatte, die Lübecker Transporte nicht zu genehmigen. Man müsse die neuen Sicherheitsrichtlinien aus dem Bonner Umweltministerium abwarten, hieß es damals zur Begründung. Die niedersächsische Landesregierung, empört sich Johann Bruns, habe nicht abgewartet und trotz der Sicherheitsbedenken in Emden Ja gesagt. Eine solche „Dienstwilligkeit“ gegenüber der Atomwirtschaft, so Bruns zur taz, sei „mit rationalen Argumenten nicht mehr zu erklären“. Darüber hinaus vermißt der SPD-Landeschef die vielbeschworene Solidarität der Küstenländer. ...ist der Atomumschlag
kaum zu stoppen
Bruns gibt zu, daß juristische Argumente nicht ohne weiteres in praktische Politik umzumünzen sind. Emdens Hafen gehört nämlich dem Land Niedersachsen. Die Kommune kann nur appellieren, sie kann aber dem Hafen die Verladung nicht auf dem Dienstweg untersagen. Johann Bruns rechnet in der nächsten Zeit mit 40 weiteren Transporten über Emden. Wilhelmshaven
legt sich quer
Anders ist die Lage in Wilhelmshaven, das als Ausweichumschlagplatz für Atomtransporte ebenfalls im Gespräch ist. Ein Teil der dortigen Häfen gehört zwar dem Bund (Marinehafen), ein anderer dem Land Niedersachsen. Aber die Stadt Wilhelmshafen besitzt einen eigenen Hafen mit vollem Hoheitsrecht. Stadtdirektor Böse zur taz: „Das erlauben wir in unserem Hafen nicht.“
Am 21. September hatte der Stadtrat gegen die Stimmen von CDU und FDP mit Blick auf die Atomtransporte beschlossen: „Der Rat der Stadt spricht sich gegen den Transport und Umschlag in allen Hafenbetrieben Wilhelmshavens aus.“ Das Kommunalparlament forderte die Verwaltung auf, rechtliche Schritte
einzuleiten und auf die Landesregierung einzuwirken, keine Genehmigung zu erteilen. Der mutige Vorstoß brachte der Seestadt am Jadebusen einen Brief aus Hannovers Wirtschaftsministerium ein. Darin wurde bestätigt, daß Wilhelmshaven tatsächlich „hilfsweise“ als Atomumschlagplatz in Betracht käme. In Hamburg:
„Business as usual“
In den Metropolen des bundesdeutschen „nassen“ Atomumschlags, in Hamburg und Bremen, heißt es unterdessen: bus
iness as usual. Der Umschlag von Gefahrengütern ist lukrativ, weil mit hohen Zuschlägen tarifiert. Auf Nachfrage hieß es im Hamburger Hafenressort lapidar, in den Häfen an der Elbe sei der Umschlag „so sicher wie in anderen Häfen“. Die Umweltbehörde, die in Hamburg die Dienstaufsicht über strahlende Kolli innehat, beruft sich auf den Persilschein von der Physikalisch-Technische Bundesanstalt. „Wir haben kein Einspruchsrecht.„ In Bremen: Warme
Worte des Senators
Anders Bremens Hafensenator.
Konrad Kunick will sich das Recht, nein zu sagen, durch ein Gutachten absichern lassen. Die Expertise soll in einigen Monaten vorliegen. Einstweilen schrieb Kunick an Umschlagbetriebe, freiwillig auf die Akquisition strahlender Fracht zu verzichten. Zu keinem Zeitpunkt sei Bremen bereit gewesen, Ersatzhafen für Lübeck zu werden.
Die medienwirksamen Aktionen von Greenpeace sollten indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Nukleartransporte über See nur einen Bruchteil der Atomfrachten ausmachen. 1984 (jün
gere Zahlen liegen nicht vor) gingen 105.362 melde-oder genehmigungspflichtige „Bearbeitungen“ über die Schreibtische von Aufsichtsbehörden. Brisante „Kernbrennstofftransporte“ der Sicherheitsklassen I bis III rollten in den meisten Fällen über die Straße. Während 1984 nur in 133 Fällen Kernbrennstoffe mit einem Schiff in Berührung kamen, registrierte die Aufsichts-Bürokratie 1.256 reine Straßen-Transporte. In der nächsten Woche geht es auf dem SPD-Landesparteitag um die strahlenden Fachten.
Günter Beyer
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