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Vom Döner bis zum Reisebüro

■ Türkische Gewerbetreibende als Berliner Wirtschaftsfaktor

Über 4.000 Berliner Betriebe gehören Türken; ihre Zahl wächst jährlich um 300. Während sich andere ausländische Gewerbetreibende hauptsächlich in einer Branche - etwa Gastronomie - konzentrieren, ist bei den Türken die gesamte Bandbreite vom Handwerk bis zum Einzelhandel vertreten. An der Spitze steht immer noch das Döner Kebab. 800 türkische Imbisse bieten orientalisches Fast-food an. Den zweiten Platz nehmen die 700 Lebensmittelgeschäfte ein, gefolgt von 500 Video- bzw. Musikkassettenläden und 300 Reisebüros. 17.500 Menschen haben durch die Eigeninitiative der türkischen Kleinunternehmer einen Arbeitsplatz bekommen. Beginnen die türkischen Gewerbetreibenden mit ihrem jährlichen Umsatzvolumen von 3,9 Milliarden Mark eine relevante wirtschaftliche Kraft zu werden, oder handelt es sich hier nur um ein verschleiertes Beschäftigungsprogramm für Arbeitslose, wobei sich diese Menschen zum Teil in fürchterliche Abhängigkeiten verstrickt haben?

Es begann mit den Lebensmittelgeschäften a la Tante Emma. Dann kamen die Reisebüros und Videotheken. Neuerdings - so beobachtet Ahmet Ersöz vom Institut für Vergleichende Sozialforschung - werden kleine Baufirmen gegründet. Bauen ein Zeichen der Verfestigung! Aber nicht nur das. Die anfangs ausschließlich auf die Bedürfnisse türkischer Kunden eingestellten Betriebe haben inzwischen auch deutsche Abnehmer gewonnen.

„Zum Beispiel Reisebüros“, erläutert Veli Mete, Vorsitzender des 1984 gegründeten „Türkischen Kaufleutevereins“ und Mitarbeiter einer Berliner Filiale der Fluggesellschaft Türk Hava Yollari. „Als die Türkei anfing, das Land für den Tourismus zu erschließen, stieß sie in Deutschland auf perfekte Bedingungen.“ Jedes türkische Reisebüro hatte bereits billige Wege nach Bodrum im Angebot. Mit der hinzugekommenen deutschen Urlauber-Klientel folgte die nächste Ausweitung: Billigstflüge auch in andere Länder als die Türkei, beispielsweise nach New York über Schönefeld und Belgrad.

Mit der wachsenden Arbeitslosigkeit beschleunigten sich die Existenzgründungen. Zu den Hauptmotiven gehören der Wunsch nach einer gesicherten finanziellen Grundlage sowie nach „Unabhängigkeit“, das heißt „sein eigener Chef“ zu sein.

„Es ist gut, wenn die Ausländer ihre Probleme selbst in die Hand nehmen“, sagt der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Hüsnü Özkanli. Aber rosig sei der Weg in die Selbständigkeit mitnichten. Der Lebensstandard eines Fabrikarbeiters sei oft höher gewesen als jetzt, nachdem er beispielsweise ein Lebensmittelgeschäft eröffnet hat. Er habe keine Freizeit mehr, muß morgens um sechs Uhr auf dem Großmarkt einkaufen, dann den ganzen Tag im Geschäft stehen, nebenher die Buchführung erledigen und sich abends um die Instandhaltung kümmern.

„Berechnet man Einnahmen und Ausgaben, bleibt am Ende ein Stundenlohn von zwei Mark“, sagt Özkanli. Darüber hinaus habe sich der Händler meist noch gänzlich verkalkuliert. Seine ganzen Ersparnisse stecken in dem Laden. Aber dann verdient er die ersten sechs Monate nichts und muß gleichzeitig Strom und Miete zahlen. Daß sich solche wackeligen Existenzen über Wasser halten, ist hauptsächlich der rigorosen Familien- und Freundessolidarität in der türkischen Kultur zu verdanken. „Alle helfen mit und stellen ihre Ersparnisse zur Verfügung“, sagt Ersöz. Aber das schließt auch Kinderarbeit mit ein.

Deutsche als Alibi-Meister

Bei Handwerkern erschweren zusätzlich die ständisch geprägten Bedingungen der Handwerksinnungen das wirtschaftliche Gedeihen des Betriebs. Wer als Fleischer, Friseur, Schneider oder Bäcker keinen deutschen Meisterbrief vorweisen kann, muß einen „Betriebsleiter“ mit deutschem Meisterbrief einstellen. „Es ist ein offenes Geheimnis“, sagt Ersöz, „daß die nicht arbeiten und der türkische Handwerker alles selbst macht. Sie kommen einmal im Monat, um zu kassieren.“ Schneider ohne deutschen Meisterbrief dürfen darüber hinaus keine Kleider nähen, sondern nur Änderungen vornehmen, KfZ-Mechaniker keine Bremsen wechseln und Schuster keine Schuhe anfertigen, sondern nur Absätze und Sohlen neu beschlagen. Dieses Problem wird sich erst mit den Azubis der zweiten Generation legen, die hier die Meisterprüfung absolvieren.

Nicht wenige Existenzgründer bleiben wegen fehlender kaufmännischer Grundkenntnisse auf der Strecke. Es fängt schon bei der Entscheidung an, womit man handeln will. „Wenn eine Familie beschlossen hat, ein Geschäft aufzumachen“, erläutert Ersöz, „gehen die Mitglieder durch die Straßen der Gegend und gucken, was gut läuft. Statt also eine Marktlücke zu suchen, machen sie beispielsweise in der Nähe eines erfolgreichen Döner-Imbisses einfach einen zweiten auf. Aber damit ist klar, daß es von nun an beiden Geschäften schlecht gehen wird.“

Döner-Krieg

Mit Methoden, die hauptsächlich ihnen selbst schaden, versuchen sie dann ihre Konkurrenten kaputt zu machen. So sind in einem Döner-Krieg auf der Potsdamer Straße die Preise von 3,50 auf zeitweise 1,80 Mark abgerutscht. Aus dem gleichen Grund kostet türkisches Brot in Berlin nur eine bis 1,50 Mark - „kaum mehr als die Herstellungskosten“, meint Ersöz. Einmal hatte der Türkische Kaufleuteverein versucht, die Bäcker zu einem „Erfahrungsaustausch“ zusammenzubringen. Doch trotz des allgemeinen Problembewußtseins konnte das Konkurrenzverhalten bis heute nicht überwunden werden.

Hinzu komme das zum Teil durch mangelnde Deutschkenntnisse bedingte Wissensdefizit im Gewerbe-, Handels-, Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht. Zum Beispiel bei der Mitarbeit der Familienmitglieder. Wenn die Gewerbepolizei kommt, müssen sie unerwartet hohe Bußen zahlen, weil sie ihre Ehefrau nicht als Mitarbeiterin angemeldet haben, sie also „schwarz“ beschäftigen.

Gegen das Unwissen versuchten bereits der Türkische Kaufleuteverein und der „Türkische Verein für Wissenschaft, Kultur und Sozialarbeit“ (TÜBIKS) mit einem von der Wirtschaftsverwaltung unterstützten Kursus vorzugehen. Immerhin ein Einstieg, der von 20 bis 30 Teilnehmern je Kurs auch wahrgenommen wurde. Doch an die im Anschluß eigentlich erforderlichen Vertiefungskurse ist kaum zu denken, schon allein weil es an verantwortlichen Ansprechpartnern fehlt. Der Vorstand des Türkischen Kaufleutevereins arbeitet ehrenamtlich und ist daher nicht immer gleich zuverlässig. Außerdem wird der Verein wegen seiner nationalistischen Prägung von vielen abgelehnt. Auch aus diesem Grund wird derzeit in der Wirtschaftsverwaltung darüber nachgedacht, den Kurs vereinsunabhängig zu veranstalten.

Keine Fördermaßnahmen

Aber abgesehen davon, sind die bisherigen Leistungen der Wirtschaftsverwaltung in bezug auf die ausländischen Gewerbetreibenden eher mager. Da sich Deutschland nie als Einwanderungsland betrachtet hat, gibt es hier auch keine besonderen Fördermaßnahmen für die finanzielle Selbständigkeit ethnischer Minderheiten. Hinzu kommt, daß in der Vergangenheit das - ausländische genau wie das deutsche

-Kleingewerbe ohnehin bei den Berliner Wirtschaftspolitikern auf kein großes Interesse gestoßen ist.

Der Türkische Kaufleuteverein selbst fordert die Gründung eines „Informations-, Beratungs- und Qualifikationszentrums“ mit festen Planstellen und individueller Unternehmensberatung auf türkisch. Darüber hinaus solle die Wirtschaftsverwaltung bessere Voraussetzungen für die ausländischen Gewerbetreibenden schaffen. Beeindruckt kamen türkische, italienische und griechische Gewerbetreibende zusammen mit der Ausländerbeauftragten John von einer Informationsreise aus Birmingham zurück. Dort traf man sich mit „ethnischen“ Gewerbetreibenden aus Asien und der Afrokaribik.

„Auf diesem Gebiet sind uns die Engländer um Längen voraus“, schwärmt die Ausländerbeauftragte. Die Regierung dort betrachte Existenzgründungen längst als wirksame Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit. Dazu hat sie Kredite, Beratungen und andere Voraussetzungen speziell für ethnische Minderheiten geschaffen.

Das ist gewiß die „liberalste“ Integrationspolitik, die man sich vorstellen kann. Aber zur politischen Gleichberechtigung gehört auch die wirtschaftliche Selbständigkeit.

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