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Experiment beendet?-betr.: "ALseits Zufriedenheit", taz vom 3.10.88

Betr.: „Alseits Zufriedenheit“, taz 3.10.88

(...) Nachdem die Alternative Liste (AL) am letzten Wochenende auf einer Mitgliederversammlung ihre Kandidatenkür abgeschlossen hat, ist bereits sicher, daß im Parlament des Landes Berlin die Deutschen auch in Fragen der Ausländerpolitik wieder unter sich sein werden. Ganze 17 Stimmen fanden sich unter den Mitgliedern der AL, die für Izzet Aydogdu votierten und damit zu erkennen gaben, daß sie weiterhin einen Ausländer die Interessen der Immigranten in dieser Stadt vertreten lassen wollen. (...)

Izzet Aydogdu war vom Immigrantenpolitischen Forum (IPF) nominiert worden. Das Forum besteht aus Vertretern unterschiedlicher Ausländerorganisationen unterschiedlicher Nationalitäten und wurde vor rund zwei Jahren gegründet, u.a. um eine Arbeit im Abgeordnetenhaus zu unterstützen und kritisch zu begleiten. Die Gründung dieser Gruppe wurde vom Ausländerbereich der AL von Beginn an mit Mißtrauen verfolgt und letztlich, da die Deutschen im AL-Ausländerbereich dominieren, wohl auch als unbotmäßige Konkurrenz empfunden.

Mit der Wahl der Landeslisste bot sich jetzt eine gute Gelegenheit, diese Konkurrenz auszuschalten. Denn die Spitzenkandidatin der AL, Heidi Bischoff-Pflanz ist gleichzeitig die Kandidatin des AL-Ausländerbereichs. Der innerhalb der AL fast völlig unbekannte Izzet Aydogdu gegen die Spitzenkandidatin der Partei? Das Ergebnis war leicht vorhersehbar.

Trotzdem ließ es sich der Ausländerbereich nicht nehmen, auch noch mit Geschäftsordnungstricks zu versuchen, eine Abstimmung über die Kandidatur von Aydogdu von vorneherein zu verhindern.

Allein die Frage, ob die zukünftige Fraktionsvorsitzende der AL nicht auch einen anderen Themenbereich der Partei vertreten könnte, tauchte gar nicht mehr auf. Paradox genug

-offenbar empfindet die AL die Ausländerpolitik als zu wichtig, als daß sie einem Ausländer überlassen werden könnte.

Wir, als politisch aktive Immigranten in dieser Stadt empfinden diese Art von Fürsorge jedoch eher als zynisch. Es ist Ausdruck einer paternalistischen Mentalität, die offenbar auch innerhalb der Linken Gleichberechtigung nur solange Ernst nimmt, wie das Objekt der Fürsorge nicht die eigenen Kreise stört und gefälligst tut was man ihm sagt. Meine zwei Jahre im Abgeordnetenhaus waren ein erster Schritt, unsere Interessen selbst in die Hand zu nehmen, selbst Politik zu machen statt Objekt politischer Fürsorge zu sein. Daß dabei Fehler gemacht werden, liegt auf der Hand. Daß aber selbst die AL den Prozeß der politischen Emanzipation der Immigranten nicht mehr unterstützt, ist für uns eine tiefe Enttäuschung.

Dahinter steht natürlich ein Problem, das weit über die AL hinausgeht. Nach wie vor haben auch bereits lange in Berlin lebende Immigranten noch nicht einmal das kommunale Wahlrecht. Wir bringen keine Stimmen, also haben wir in den Parteien auch, keine Lobby. Wir werden uns deshalb jetzt erst recht für unsere demokratischen Rechte einsetzen früher oder später werden uns auch die Parteien nicht länger ignorieren können. (...)

Sevim Celebi-Gottschlich, MdA (AL), Berlin

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