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Seh'n oder Nichtseh'n

■ Wonnegrusel am Samstag: Die „Schwarzwaldklinik“

Jeder zieht drüber her, keiner - außer dem doofen Massenpublikum - guckt's an, aber alle wissen, worum's geht: „Die Schwarzwaldklinik“ ist das Mediendesaster unserer Tage; der Groschenroman in bewegten Bildern, die hemmungslose Ausbeutung des Lieschen-Müller-Bedürfnisses nach Schicksalswalten im Ärztemilieu. Und das dann noch im urdeutschen Schwarzwald, der, wie jeder bessere Bürger im Schlaf aufsagen kann, vom Sterben bedroht ist und in der Serie als „verlogene Idylle“ mißbraucht wird. Gemein.

Alles richtig. Die Serie treibt Schindluder mit dem angeblich so mündigen Glotzer. Sie präsentiert sich als Lolli, anstatt uns den harten Brotranken der Aufklärung zwischen die Zähne zu schieben. Wer also die „Schwarzwaldklinik“ ansehen will, muß das heimlich tun, gewissermaßen mit der Taschenlampe unter der Decke, damit all die kritischen Intellektuellen, die frank und frei auf „Dallas“ oder „Denver“ schwören, nicht mit dem Finger von sich wegzeigen können. Auf mich zum Beispiel. Denn ich möchte den Wonnegrusel angesichts so viel schamloser Trivialität nicht missen. Ich bin dabei, wenn jetzt wieder an vierundzwanzig Samstagen im Glottertal gesäbelt, geheilt, gelitten, intrigiert und, zuverlässig nach 45 Minuten, unter der Schirmherrschaft des Doktor Brinkmann alles ins Lot geraten ist. Wenn Charaktere bei denen man sofort weiß: das gibt Zunder, doch alles wird am Ende wieder gut.

Wie zum Beispiel beim neuen Oberarzt Doktor Borsdorf: Da platzt der doch mitten hinein in den Belegschafts-Umtrunk von Frau Doktor Christa, Gattin des göttlichen Brinkmann, die „in die Forschung“ nach Konstanz geht. (Auch hier übrigens deutet sich schon reichlicher Liebes-Konfliktstoff an). Und dieser „Neue“ weigert sich doch tatsächlich, dem geselligen Beisammensein beizuwohnen. Ihn treibt der medizinische Ehrgeiz „auf dem Gebiet der Knochenentzündung“, doch vorderhand will er erstmal den Notdienst übernehmen, damit die anderen feiern können. Also: Nett ist er zwar auch schon ein kleines bißchen, aber ein richtiger Mensch und Kollege muß er erst noch werden. Wir sehen das sogleich an den befremdeten Mienen von Vater Brinkmann und Sohn Udo: Klausjürgen Wussow gibt nach bewährter Art seiner Unterlippe den bedenklichen Schubladen-Touch, während Sascha Hehn all seine mimische Kraft zusammenkratzen muß, um die blühenden Lippen fein zu schürzen, die Nüstern bebend zu bewegen. Ein Höhepunkt: Der „Neue“ sitzt als Oberarzt auf einer Stelle, die Udo, der ewige Stationsarzt, haben wollte. Doch da war Papa vor, dem Günstlingswirtschaft sehr zuwider ist. Und dieser Ödipuskonflikt wird wunderbar gelöst: Anstatt den Vater zu erschlagen, küßt Udo bescheiden dessen Stirn.

Hach, und dann dieses Osterfest, mit schwellenden Geigen im Hintergrund. Im Vordergrund: Familie Brinkmann nebst Freundesschar in lodener Trachtenkluft beim Eiersuchen. Und heile Welt? Von wegen. Die Brinkmanns streiten sich, weil er schon kommen sieht, daß sie in Konstanz ihm entgleiten wird. Aber auf ihn wartet ja bereits die neue Ärztin, die auch recht proper aussieht. Gerade so, wie man als Seitensprung auszusehen hat. Und sagte nicht Frau Christa: „Unsere Liebe ist stark genug, die Trennung auszuhalten“? Bestimmt. Zumal ja Brinkmanns Kindermädchen Carola wild entschlossen ist, den Forscher Kohlund zu gewinnen. Und der - obwohl schon lang an ritterlich-„korrekter“ Liebe zu Frau Christa leidend - hat angebissen. Der ist also als Konfliktherd auf längere Sicht schön weggeräumt.

Und das ist das Schöne an der „Schwarzwaldklinik“: Sie bietet allen, die noch willens sind, auf Max und Lieschen Müller in sich selbst zu hören, ein dreist triviales, buntes Szenario der Übersichtlichkeit. Das Leben, es ist nicht so. Na und?

Sybille Simon-Zülch

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