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Selektion der Dickbäuche

■ Laufarzt Willi Heepe betreut gefährdete Hochstapler

Willi Heepe hat ein Feindbild: dickbäuchige, verantwortungslose, untrainierte Deutsche, die von allen guten Geistern verlassen, an Marathonläufen teilnehmen wollen. Heepe, Chef des 40köpfigen Ärzteteams beim Berlin -Marathon: „Es ist wohl typisch deutsch, sich zu sagen, da müsse man durch. Ohne Training 42 Kilometer laufen zu wollen - unmöglich.“ Daher schlawenzelte der Mann am Sonntag vor dem Start in den Reihen der Läufer herum, um „Hängebäuchige anzusprechen und offensichtlich Überforderte notfalls mit Nachdruck vom Laufen abzuhalten.“

Zwar räumt Heepe ein, daß „jeder ein Recht auf seinen eigenen Tod hat“, aber letztlich bricht doch immer wieder der Arzt bei ihm durch. Vor zwei Jahren hatte der Arzt nämlich dem damals 38 Jahre alten Richard Newman Starterlaubnis erteilt, mit der Einschränkung, daß der gerade von einer Herzmuskelerkrankung Genesene nicht länger als dreieinhalb Stunden maßvoll laufen sollte. Der Jogger düste dann aber doch schneller und war nach 2:50 Stunden am Ziel seines Lebens. 20 Meter vor dem Ende des Marathon -Laufes kippte er am Ku'damm um und starb im Krankenhaus.

Da vor genau zwei Wochen beim Marathon in Dramen/Norwegen (Sic! - d.K.) ebenfalls zwei Läufer das Zeitliche gesegnet hatten, muß Heepe am Sonntag ganz schön gezittert haben, zumal er diesmal 24 ehemalige Infarktpatienten „auf die Piste schickte“ (O-Ton Heepe). „Sie haben gelernt, wie man mit einem defekten Organismus umgehen kann und sich langsam wieder aufgebaut“, meint der Laufarzt. Die größten Sorgen machen dem Kardiologen die 30- bis 40jährigen, die kaum trainieren, dafür aber 40 Zigaretten täglich rauchen. Heepe: „Über jedem Marathon schwebt das Damoklesschwert eines tödlichen Zwischenfalls. Die 30- bis 40jährigen bilden ein unendliches Risikopotential.“

Die Organisatoren vom SSC Berlin sind deshalb auf die Idee gekommen, jedem, der gesundheitsbewußt auf den Start verzichtet, mit einer Extra-Urkunde zu belohnen. Dennoch werden sich wieder einige Todesmutige, die sich „noch nie einer ärztlichen Untersuchung unterzogen haben oder trotz Startverbots des behandelnden Arztes teilnehmen“, unter die Lebendigen gemischt haben.

Ein Beispiel ist ein älterer Herr aus Beckum. 700 Meter nach dem Start brach er im Lauf-Pulk zusammen. Kreislaufkollaps. Folge: Er schlug mit dem Gesicht auf den Asphalt und zog sich neben Prellungen sicher auch den Schock fürs Leben zu. Aber wie hatte Heepe so schön festgestellt: „Jeder hat ein Recht auf seinen eigenen Tod.“

Th.D.

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