„Das ist schlimmer als Restalinisierung“

Rado Riha (40) und Tomas Mastnak (35), wissenschaftliche Mitarbeiter am philosophischen Institut des wissenschaftlichen Forschungszentrums der slowenischen Akademie für Kunst und Wissenschaften, über Serben-Chef Milosevic und die politische Situation in Jugoslawien  ■ I N T E R V I E W

taz: Massenaufläufe, Demonstrationen in Jugoslawien, Parteihäuser werden gestürmt, die Polizei geht jetzt dagegen vor. Wie beurteilt ihr die Situation?

Thomas Mastnak: Diese Kampagne ist nur ein Schritt zur Umstrukturierung des gesamten Landes. Zuerst zielt die Kampagne auf die Veränderung der serbischen Partei und auch auf die gesamte Partei in Jugoslawien. Wenn diese Massenbewegung Erfolg hat, werden wir ein totalitäres Jugoslawien haben mit starken autoritären Zügen und der Einschränkung der Autonomie der anderen Republiken und autonomen Gebiete.

Wie kam es zu dieser Mobilisierung?

Rado Riha: Das ist schwer zu sagen. Wir können aber über gewisse Elemente dieser Massenbewegung reden. Die Menschen werden mit Blut- und Boden-Ideologien mobilisiert. Kosovo ist für die Serben sehr wichig, sie sehen es als das heilige Gebiet an, ihr Ursprungsland. Es ist also eine Massenbewegung, die sich auf die serbischen Wurzeln bezieht und auf die Geschichte eines Landes, das immer Befreiungskriege geführt, jedoch im Frieden an Bedeutung eingebüßt hat.

Welche Rolle spielt der serbische Parteiführer Milosovic in diesem ganzen Spiel?

Thomas Mastnak: Das Charakteristikum von Milosevic ist, daß er ein jugendlicher Politiker ist, der nicht mehr zum Bild der alten Garde paßt.

Rado Riha: Er schaut dem Volk aufs Maul, er ist rhetorisch befähigt. Inhaltlich geht es aber darum, daß die serbischen Forderungen als rein serbische Forderungen auftauchten. Es sollte erstmal darum gehen, im Kosovo und in der Vojvodina Verfassungsänderungen durchzusetzen, die der serbischen Führung mehr Mitspracherecht in diesen autonomen Provinzen einräumen sollten. Und was wir betonen sollten: In ganz Jugoslawien wurde diesen serbischen Forderungen im Prinzip zugestimmt. Denn zunächst forderten die Serben ja nur eine Vereinheitlichung der Justiz auf dem Boden ihrer Republik. Das ist sozusagen der rationale Kern. Und dem haben die anderen Parteiführungen eigentlich nichts entgegenzusetzen. Doch dann zeigte sich, daß die serbische Parteiführung dieses Konzept des Staates auf ganz Jugoslawien ausdehnen will. Die Einheit Jugoslawiens soll also nur durch die Ausweitung des repressiven Staatsapparates gesichert werden. Durch die Armee, durch den Sicherheitsdienst und die Justiz. Und diese Punkte spielen auch in der derzeitigen Verfassungsdiskussion auf Bundesebene eine große Rolle. Deshalb haben andere Republiken, vor allem Slowenien, Einwände erhoben. Hier herrschat eine andere Vorstellung über die Zukunft Jugoslawiens vor und man lehnt das unitaristische , repressive Modell ab. Mit gutem Grund. Denken wir an das Problem der Menschenrechte. Wenn das unter Bundeskompetenz fällt, würde sich die Lage in Slowenien verschlechtern. Oder das Informationssystem, das würde zu einer Angleichung der Presselandschaft führen.

Bedeutet die serbische Politik inhaltlich eine Restalinisierung ?

Tomas Mastnak: Es ist sogar schlimmer. Meiner Meinung nach gibt es auch das Phänomen der Faschisierung. Was Milosovic in seiner Politik gelungen ist, ist eine Synthese von stalinistischen und faschistischen Charakteristika. Wenn wir nur mit Restaliniserung zu tun hätten, wäre keine Massenbewegung vorhanden. Doch jetzt haben wir eine an totalitären Zielen orientierte Massenbewegung von unten, die mit der autoritäten Politik von oben koordiniert ist.

Es gibt also eine gefährliche, autoritäre Option für die Lösung der Krise in Jugoslawien. Aber es gibt doch auch andere Kräfte, die auf die Demokratisierung setzen.

Zuerst einmal möchte ich betonen, daß es bei der autoritären Option nicht um die Bewältigung der Krise geht. Sie wäre auch gar nicht imstande, die Krise zu bewältigen. Sie wird unausweichlich die Krise verschärfen. Es ist eine reine Fiktion, mit Hilfe der Ordnung, der Armee und der Sicherheitskräfte die Krise der Gesellschaft zu bewältigen. Wenn wir von einem demokratischen Modell in Jugoslawien und Slowenien sprechen, dann müssen wir kurz deren Genese betrachten. In Slowenien ist in den letzten Jahren das politische System aufgrund des Drucks von demokratischen Initiativen von unten nicht unberührt geblieben. Es hat sich im System eine Reformströmung herausgebildet, die auf eine Trennung von Staat und Partei hinausläuft. Die Partei ist jetzt imstande, einen Dialog mit der Gesellschaft zu führen. Man spricht jetzt auch offiziell vom Ziel einer postmodernen Informatikgesellschaft und nicht mehr von einer kommunistischen Gesellschaft. Um eine konsequentere Orienterung an Marktmechanismen geht es auch, die Rolle der Politik gegenüber der Wirtschaft soll vermindert werden. Jetzt wird auch die Bedeutung des Rechtsstaates erkannt. Die Partei wird künftighin um ihre führende Rolle in der Gesellschaft werben müssen.

Ich glaube, der einzige Versuch, gleichzeitig die Ökonomie und das politische System zu verändern, wird jetzt in Slowenien vorgeschlagen. Und das ist auch der einzige Weg aus der Krise. Und hier wird die Kluft zwischen der slowenischen und serbischen Politik deutlich.

Die Machtkonstellation spricht aber gegen die Druchsetzung des slowenischen Wegs. Gibt es in anderen Landesteilen denn auch Optionen für den slowenischen Weg?

Rado Riha: Die slowenische Option wird die Gesellschaft an der Krisenlösung beteiligen. Es gibt darin auch noch die Vorstellung, das Selbstverwaltungsmodell mit Mitteln der Selbstverwaltung wieder zu retten. Die zweite wichtige Strömung ist die, mit einer Parteireform, mit einer Erneuerung des demokratischen Zentralismus wieder aus der Krise herauszukommen, ohne die Parteiherrschaft in Frage zu stellen. Und diese Option herrscht in Kroatien vor. Als Unterpunkt dazu gibt es die Option, die sich auf die Mittel der Armee bezieht. Die Armee soll sozusagen als außerstaatliche Kraft die Einheit des Landes sichern. Die dritte große Strömung haben wir vorher ausführlich beschrieben, das ist der Weg von Milosevic. Und es ist leicht zu verstehen, daß die Strömungen, die sich auf die Partei und das Militär stützen wollen, leichter mit der serbischen autoritären Vorstellung zusammenpassen als die demokratische Option Sloweniens. Es gibt aber auch in der Zentralregierung Strömungen, die der slowenischen Position Sympathien entgegenbringen. Es ist ein sehr kompliziertes Bild.

Das Gespräch führte Erich Rathfelder