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Stickoxidbelastung größer als je zuvor

Heidelberger Umweltinstitut erklärt Luftreinhaltepolitik im Bereich Verkehr für gescheitert / Verheerende Bilanz der Umweltpolitik der Bundesregierung / Es wird mehr und schneller gefahren als je zuvor  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Im laufenden Jahr 1988 werden in der Bundesrepublik voraussichtlich mehr waldschädigende Stickoxide in die Luft geblasen als je zuvor. Mit 3,16 Millionen Tonnen liegen die Stickoxid-Emissionen heute um etwa sieben Prozent höher als 1983. Damals hatte die Bundesregierung unter dem Eindruck der alarmierenden Ergebnisse erster Waldschadenserhebungen verschiedene Gesetze zur Verminderung der Luftschadstoffe auf den Weg gebracht. Eine verheerende Bilanz der fünfjährigen Bemühungen zur Verbesserung der Luftqualität stellte das Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) in Heidelberg am Samstag der Öffentlichkeit vor.

Danach stammen inzwischen 60 Prozent der Stickoxide allein aus dem Verkehrsbereich. Die Emissionen im Verkehr liegen heute um fast die Hälfte höher als noch vor drei Jahren von der Bundesregierung für 1988 prognostiziert. Die emissionsmindernde Wirkung von Katalysator- und sogenannten schadstoffarmen Pkw wird durch erhöhte Fahrleistungen und Fahrgeschwindigkeiten mehr als aufgehoben. Zudem ist nur jedes fünfte aller bisher als „schadstoffarm“ eingestuften Fahrzeuge mit einem geregelten Dreiwegekatalysator ausgerüstet. Vier von fünf als „schadstoffarm“ oder „bedingt schadstoffarm“ qualifizierte Wagen fahren entweder mit Diesel oder halten lediglich die laschen EG-Grenzwerte (Euronorm) ein. Zur Abgasminderung tragen diese Fahrzeuge nur wenig bei. Bezogen auf den Gesamtbestand aller Pkws fahren derzeit nur 5,9 Prozent mit geregeltem Kat.

Nach wie vor fehlen auch wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen bei Lkw und Flugzeugen, die inzwischen bei anhaltend hohen Wachstumsraten mit 40 Prozent zu den Stickoxidemissionen im Verkehrsbereich beitragen. Daran wird sich nach Auffassung des UPI-Institus auch mit der von der Bundesregierung für 1990 beabsichtigten Senkung der Grenzwerte für neue Lastkraftwagen wenig ändern. Auch hier bestehe die Gefahr, daß die Maßnahme durch zunehmenden Lkw-Verkehr, insbesondere nach Einführung des europäischen Binnenmarkts im Jahr 1992, voll ausgeglichen werde.

Als einzig wirksame Strategie zur „deutlichen Absenkung der Emissionen im Pkw-Verkehr“ bezeichnet das Umweltinstitut die „verbindliche Einführung der US-Norm für neue Pkw“. Sollte die Bundesrepublik mit der stärksten Automobilindustrie innerhalb der EG diesen Schritt tun, würden sich nach Auffassung des Instituts neben Dänemark und den Niederlanden (dort sollen entsprechende Regelungen bereits 1989 in Kraft treten) auch Griechenland und Luxemburg anschließen. „Widerständen aus Italien, Frankreich und Großbritannien ließe sich notfalls durch Ausnahmeregelungen (für Pkw aus diesen Ländern) begegnen“, schlagen die Heidelberger Wissenschaftler vor. Außerdem werden erneut ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen als Sofortmaßnahme sowie verstärkte Anstrengungen zur „Umlagerung“ des Straßenverkehrs auf andere Verkehrsmittel gefordert. Bereits vor zwei Wochen hatte der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) eine ähnlich düstere Bilanz der bisherigen Bemühungen um die Luftreinhaltung gezeichnet. Entgegen einer weitverbreiteten Stimmung in der Bevölkerung sei „von einzelnen Ausnahmen in Ballungsgebieten abgesehen, keine spürbare Verbesserung der Luftqualität im Bundesgebiet zu registrieren oder zukünftig zu erwarten.“, erklärte der BUND und forderte unter anderem die „Besteuerung von Emissionen“. Die Bundesregierung hatte 1985 durch den TÜV noch prophezeien lassen, daß sich die Belastung aus den Auspuffen bis 1988 um 25 Porzent verringern werde.

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