: Frauen, die unsichtbaren Wesen
Tagung der „Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung“ in Berlin / Zum ersten Mal mit Frauenschwerpunkt: doch bei den „Versuchen über Sexualität, Aggression und Gewalt“ blieb die Gewalt an Frauen außen vor / Streit um PorNO-Kampagne bestimmte den „Frauentag“ ■ Von Maria Neef-Uthoff
Sexualität ist eine komplizierte Angelegenheit, das weiß man, auch wenn man sich nicht auf wissenschaftliche Tagungen begibt. Begibt man sich aber dorthin, so stellt man fest, daß das Verhandeln dieser komplizierten Angelegenheit dazu führt, sie selbst samt und sonders aus dem Blickfeld zu verbannen.
Die 16. wissenschaftliche Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung fand vergangene Woche in Berlin statt. Der erste Tag war ein Frauentag. Nicht ausdrücklich ein Frauentag, es waren auch Männer als Referenten geladen aber es war schon etwas Außergewöhnliches, daß dieser Tag thematisch ausschließlich den Versuchen über Sexualität, Aggression und Gewalt gewidmet war.
Das erste Mal in der Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung ging es öffentlich so explizit um Frauen. Und so ausdrücklich, wie es um Frauen ging, so hoch waren die Erwartungen und so tief waren die Enttäuschungen. Obwohl es um den Zusammenhang von Sexualität und Gewalt gehen sollte, für den verschiedene Annäherungen vorgesehen waren wie z.B. zur Gewalt der Bilder von Gertrud Koch oder zur Antipornographiedebatte von Irene Stoehr oder zu Gewalt und Aggression von Eberhard Schorsch, gelang es bis auf zwei Ausnahmen (Christina Thürmer-Rohrs Mittäterinnen und Renate Sadrozinskis 218) auf höchst dubiose Weise, die Gewalt an Frauen aus dem Spiel zu lassen.
Wer nicht zufällig gleich am Morgen das Referat von Christina Thürmer-Rohr über die mehrfach in der taz besprochene „Mittäterschaft von Frauen“ hörte, konnte mit dem Eindruck nach Hause gehen, daß Gewalt vielleicht doch nichts mit Sexualität und daß Pornographie mit beiden nichts zu tun hat.
Keine Wut bei
den Männern
So eine Tagung ist Widerspiegelung der etwas gehobeneren Diskussion. Was also sagt der Sexualwissenschaftler Eberhard Schorsch aus Hamburg in seinem Versuch über Sexualität, Aggression und Gewalt? Er sagt es psychoanalytisch: Aggression bedeute Bewegung und Lebendigkeit, auf die nicht verzichtet werden dürfe. Er fordert auf, die Verflochtenheit von Aggression und Trieb mitzudenken; versuche man, die Aggression auszuschalten, eleminiere man auch den Trieb. Die Polarität „männlich-weiblich“ sei eine Übertreibung der Phantasie. Diese Überbesetzung schaffe Übermacht, innere Phantome bemächtigen sich unser. Die Versuche der Männerbewegung wiederum, den sanften Mann zu kreieren, seien nur eine Übermalung des „Bilds des Mannes“, das in den Köpfen steckt.
Später bekennt er, ihm habe bei seinem Vortrag die geschlechtsspezifische Wut gefehlt. Warum eigentlich? Männer sollen sich empören. Das war die Forderung von Thürmer-Rohr in der anschließenden Diskussion. Wieso schämen Männer sich nicht, wenn sie von der Gewalttätigkeit anderer Männer an Frauen erfahren, warum platzen sie nicht vor Zorn über dieses so selbstverständliche Unrecht?
Welche Funktion hat das Mittun, wurde Christina Thürmer -Rohr gefragt. Der Mann habe ein existentielles Interesse daran, daß Frauen die Gesellschaft, wie sie ist, in Ordnung finden. Frauen sind tätig, indem sie mitmachen. Es gebe wunderschöne Dinge, die Männer gemacht haben: Orgeln zum Beispiel und Autos. Es gebe keine saubere Lösung, um sich da rauszuhalten. Frauen seien als handelnde Personen verantwortlich, aber sie sind keine Täterinnen, weil die Täterschaft die „Kulturtat des Patriarchats“ sei. Die Frau sei historisch nicht herauslösbar als eigenständige Täterin, denn die Bedingungen der Männergesellschaft durchtränkten alles.
Streit bei den Frauen
Dann gab es doch noch so etwas wie einen negativen Höhepunkt: die Historikerin Irene Stoehr sprach zur Sexuellen Emanzipation und Antipornographiedebatte. Es gebe ein großes Bedürfnis bei den Frauen, sich in Sachen Antiporno nicht auf ein Entweder-Oder festschreiben zu lassen. Sie findet es peinlich, daß die 'Emma'-Kampagne die Lösung des Pornographieproblems so angeht, daß Frauen zurück in den Opferstatus gedrängt würden, wo doch Mittäterschaft gerade die Opfermentalität aufhebe. Und sie benannte die Widerspräche in der Politik der 'Emma‘. Alice Schwarzer habe den „Griff zur Männlichkeit“ gefordert, weg vom Mutterbodenhaft-Femininen. Damals (Anfang der 80er Jahre) sei es um ein positives Verhältnis zum Sex gegangen. Ihre heutige Antipornokampagne liege jedoch quer zur „Gleichberechtigungslogik“ der 'Emma‘. Dennoch sei die „Lust am Anderssein“ nicht Thema. Vielleicht hatte sie sich zu scharf auf 'Emma‘ und zu wenig auf Antiporno eingestellt, die Empörung auf ihren Beitrag jedenfalls war außergewöhnlich.
Monika Frommel, Strafrechtlerin aus München und engagierte Paragraph-218-Gegnerin, nannte das Antiporno -Gesetzesvorhaben einen „kreativen juristischen Vorschlag“ und war „wütend über den Vortrag“. Und dann fingen sie im Saal an sich zu streiten, ob Alice Schwarzer eher bizarre Züge trägt oder eine mutige Frau sei, und einige fanden das unter Niveau.
Komischerweise haben an dem ganzen Tag höchstens zwei oder drei Männer mitdiskutiert, obwohl doch nur etwas weniger als die Hälfte der rund dreihundert Leute Männer waren.
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