: Chemiewaffen in der Bundesrepublik
Nach Angaben westlicher Chemiewaffenexperten lagern die USA seit Mitte der fünfziger Jahre rund 435 Tonnen Sarin und VX -Nervengas in strengbewachten Depots bei Fischbach/Pfalz sowie möglicherweise sieben weiteren Orten im Rhein-Main -Gebiet (Maßweiler, Miesau, Kriegsfeld, Weilerbach, Hanau, Mannheim, Siegelsbach). Abgepackt ist das Giftgas in über 300.000 155- und 203-Millimeter Granaten, von denen bis zu 90 Prozent auf Grund von Durchrosten und Undichte der Behälter nicht mehr einsatzfähig sind und auch ohne Gefahr für die Bevölkerung nicht mehr transportiert werden können. Offiziell haben die USA Lagerorte und Mengen nie bestätigt.
Eine im April bei der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz vorgelegte Karte angeblich „sämtlicher Lager für chemische Waffen“ enthält keine Orte in der BRD. Die Bundesregierung betont immer wieder, daß die US-Giftgase offiziell nicht zur Abschreckungstriade aus konventionellen Waffen, atomaren Kurzstrecken- sowie Interkontinentalraketen gehören, die in der Nato-Doktrin der „Flexiblen Antwort“ festgelegt ist, sondern zur „Abschreckung und Vergeltung eines gegnerischen Chemiewaffenangriffes bereitgehalten“ werden.
Verschwiegen wird, daß dies in einem konkreten Kriegsszenario keinen Unterschied macht, und die USA in den letzten Jahren im Zuge der Einbringung ihrer Air-Land-Battle -Doktrin in die Nato mehrfach versucht haben, die Chemiewaffen als Teil der „Flexiblen Antwort“ zu verankern.
Auf Grund einer dem Deutschen Bundestag bis heute nicht vorgelegten Vereinbarung zwischen Kanzler Kohl und Präsident Reagan vom Mai '86 sollen die US-Chemiewaffen „bis 1992“ aus der Bundesrepublik abgezogen sein. Die Stationierung moderner, binärer Waffen soll nur noch im nicht näher definierten „Ernstfall“ und mit Zustimmung der Bundesregierung erfolgen können. Chemiewaffenexperten des US -Kongresses erklärten letzte Woche, sie hätten die Reagan -Kohl-Vereinbarung bis heute nicht zu Gesicht bekommen.
Ein Abzug der Altbestände bis 1992 sei höchst unwahrscheinlich, da ausreichende Vernichtungskapazitäten in den USA frühestens 1997 zur Verfügung ständen. Die in den USA lagernden Altbestände sollen mit Rücksicht auf Proteste aus der Bevölkerung nicht mehr transportiert, sondern an ihren bisherigen Lagerorten vernichtet werden. Der Abtransport aus der Bundesrepublik werde, so die Kongreßexperten, wenn überhaupt, „ohne vorherige Ankündigung bei Nacht und Nebel“ erfolgen.
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