: Knastbesuch
Mit verschnürter Kehle, einem Film vor Augen,
der nicht zu Tränen wird,
fahre ich zurück.
Weg von Dir.
Nach Hause.
Während durch die Autofenster der Frühling immer fetter,
satter und eindringlicher auf die Sinne knallt.
Du siehst es nur durch Spalten.
Du darfst dich nicht an mich klammern,
wir haben uns füreinander entschieden.
Wir können uns nichts versprechen,
wissen um drei Jahre abgetrennter Welten.
Und die Gegenwart zählt,
was kommt, weiß keiner.
Du sagst, der Richter, der dich verurteilt hat,
erkannte dich schon nach zwei Wochen nicht mehr.
Ich sage, wir haben keine Zeit, wütend zu werden.
Ich laß es noch einem Moment zu, spüre den Schmerz
wenn ich in deine Augen voll Lebenswillen und Angst sehe,
die sich so verdammt freuen können.
Ich sehe den kleinen Jungen,
dessen Mutter keine Zeit für ihn hatte.
Dessen Eltern, als er sechs Jahre alt war, nach Amerika gingen.
Es war wohl nicht mal ein Abschied,
du hast nie gejammert.
Der später immer wieder der Polizei in die Arme lief,
um im Gefängnis der Angst zu entgehen,
wie den nächsten Tag überstehen.
Dort werden Entscheidungen abgenommen, das Essen serviert, geweckt, zur Arbeit geführt. Es gibt den Arzt, den Lehrer, den Psychologen, den Pfarrer.
Die Schwierigkeit, Konflikte zu bestehen, für jeden schon ein harter Brocken. Die Gratwanderung, im Arbeitsverhältnis ernst genommen zu werden, nicht zu viel und nicht zu wenig zu sagen. Die Schwierigkeiten, die mit zu deiner Straffälligkeit führten, fallen im Knast weg, und du stehst noch hilfloser da, wenn du raus kommst.
Was uns bleibt,
ich arrangiere mich mit der Wirklichkeit,
kämpfe jetzt für zwei,
das kann Hilfestellung sein.
Freue mich, dich zweimal im Monat eine halbe Stunde sehen zu dürfen.
Bin froh, wenn ein Brief von Dir durch den Briefschlitz leuchtet, traurig, wenn der Brief so kurz ist.
Ich wache morgens auf und stelle fest,
es war kein böser Traum, es ist Wirklichkeit.
Am Anfang helfen noch Gespräche mit Freunden.
Der Alltag holt sie und mich ein.
Es geht weiter, wird zäh, heißt durchhalten.
Ich gehe durch die Straßen und frage mich, für wie viele der Ausnahmezustand alltäglich ist.
Für die die Sorge um etwas zu fressen mit Demütigungen
verbunden ist, beim Sozialamt, am Fließband.
Ich bin wütend, daß es so gut funktioniert.
Die Arbeitslosigkeit verhindert Solidarität.
Die Angst vor sich selbst wird in materiellen Sicherheiten und Prestige gefestigt.
Der Schmerz wird betäubt mit Tabletten und Drogen.
Es wird repariert und festgehalten an längst nicht mehr wesentlichem.
Unsere Freiheit bedeutet, Scheiße sagen zu dürfen.
Wehe, wir wollen etwas.
Deshalb sage ich, ich will leben,
höre das Schlüsselrasseln beim Besuch im Knast, mein Magen zieht sich zusammen und ich lache in mich rein.
Phantasie, Ideen und das Lachen bleiben die stärksten Waffen.
Mir fällt Dorothee Sölle ein, die sagt: „Die Bomben fallen jetzt.“ Ja.
Eveline Meißner, Haßfurt
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