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Duell auf der Main Street

 ■  Aus Far West Reed Stillwater

Tonopah, Neveda, 6.10.88 Shit. Hat nicht geklappt. Mit dem Bericht bin ich zwar vor Mitternacht hiesiger Zeit fertig geworden, aber irgendwie bin ich damit nicht aus meinem Hotelzimmer rausgekommen, weiß auch nicht warum. Meine Übertrageng von El Cerrito aus hatte doch geklappt. Frust! Ich bin hier buchstäblich in the middle of nowhere, in einem Ort namens Tonopah inmitten der Wüste von Nevada. Ein Ort aus Wohnwagen, verschrotteten Autos aller Generationen, aus Schutthalden und verfallenen bzw. verfallenden Steinhäusern, aber ein fünfstöckiges Hotel gibt es hier, ein Hotel wie man es sonst kaum noch im Westen findet, wie es sonst nur in Filmen vorkommt. Auch mein gestriges Hotel war so. Aber Nevada City ist eine alte Goldgräberstadt, eine Kreuzung aus einem amerikanischen Rothenburg und einem amerikanischen Worpswede, ein San Geminiano of the West, da kann man verstehen, daß die hier ein altes Hotel aus dem Jahre 1850 aufputzen, Tonopah hingegen ist ein junk dump, wer hierherkommt und wozu, wer in diesem sehr gediegenen Western Hotel übernachtet, ist mir noch unerfindlich. Dieser Ort scheint von einer noch funktionierenden Silbermine zu leben. Inzwischen werdet Ihr die Debattenberichterstattung ja schon abgeschlossen haben. Pech für meinen kleinen Bericht. Ich kann Edis Geschichte auch in einen größere Bericht über Leute und attitudes im Westen einbauen. So long, Reed S.

Pahrump, Nevada,7.10.88 Hat wieder nicht geklappt mit der Übertragung. In meiner Verzweiflung habe ich heute morgen Stephan in Washington angerufen und erfahren, daß ich doch wieder die Mailbox in Frankfurt benutzen soll, weil es irgendwie Probleme gibt mit der Kommunikation. Vielleicht ist das mein Problem. Ich bin im Moment on the road zwischen Pahrump und Henderson. Heute Nacht bleibe ich entweder in Boulder City oder Kingman. Mal sehen, ob ich dann endlich meinen Bericht loswerde über den Westen. Vereinigen möchte ich: Die Durchdringung von Mythos und Realität, Traum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit in diesen Siedlungen hier, und wie diese seltsame Traumrealität die politischen Ansichten, Aspirationen und Ängste der Leute beeinflußt. So ich mach jetzt mal Schluß, das Panorama vor mir entfaltet sich zu einer grandiosen Szenerie, und ich will aus dem Fenster statt auf den Display sehen.

Ciao, Reed S.

Nevada City und ihre Schwesternstadt Grass Valley liegen in den Vorbergen der Sierra Nevada. Ehemals Goldgräberstädte, ist Grass Valley heute noch eine irgendwie normale Stadt, während Nevada City wohl hauptsächlich vom Tourismus lebt, beide Stadthälften leben auf ihre Weise von Leuten, die um der Nostalgie willen hierherkomen, um ihre Sehnsucht nach dem Amerika, wie es einstmals war, nach dem Westen zu stillen. Das Hotel auf der Main Street ist eines der ältesten westlich der Rockies. Die Bar auf der Hauptstraße wirkt „strictly local“. Sie ist um diese Tageszeit, es ist vier Uhr nachmittags, ziemlich voll, vorwiegend junge Männer, zum Teil noch in Arbeitskleidung. Drei Fernseher laufen gleichzeitig, auf einem wird ein Baseballspiel übertragen auf dem anderen ein Truck-Race auf dem dritten eine Rock-Show. Auch die Hi Fi-Anlage ist an, und dudelt country music. „Will you switch on the debate of the Vice Presidential Candidates?“ Die Barfrau sieht mit einer Mischung aus Unverständnis und Mitleid auf, auf was für verrückte Ideen diese Städter aus der Bay Area kommen. Ein junger Mann an der Ecke des langen Tresens fragt spöttisch: „Debate? What do you mean debate? De bait dat you put on de hook?“ (debate sprich diebeytDebatte; the bait, sprich ebenso diebeyt - vor allem, wenn man das „the“ wie ein Schwarzer sprechen willder Köder, den man an den Haken tut). Brüllendes Gelächter aller, die am Tresen sitzen. Mitlachen ist der Schlüssel zum Überleben in dieser Situation.

Es scheint so, als sei der eine der Kandidaten für „gun control“ (für die Beschränkung der Freiheit, Waffen zu tragen), wie heißt er doch gleich? Dukakis, ja das ist er, glaube ich. Für den stimme ich bestimmt nicht, ich will bei Gott nicht, daß jemand daher kommt und mir meine Schußwaffen abnimmt.

Edie kommt aus Südkalifornien, vor ein paar Jahren ist er hier hinauf in die Sierra gezogen. Da unten waren ihm zuviele Menschen, zuviele Autos, zuviele Häuser, da konnte man sich ja nicht bewegen, nicht atmen. Hier ist er mit seinem Truck in vier Minuten in der Wildnis, da geht er auf Jagd: Truthähne, Hasen, Eichhörnchen, Rehe. Hier fühlt er sich besser, arbeitet in einem Baumarkt, verdient gutes Geld. Nein, ganz ideal ist es nicht. Am liebsten hätte er im vorigen Jahrhundert gelebt, da gab es weniger Menschen und mehr Freiheit im Lande. Wer damals aufwuchs, brauchte sein Leben lang nie eine Steuererklärung auszufüllen. Irgendetwas ist doch da verkehrt. Dies ist doch angeblich ein freies Land, was du verdienst, gehört dir, oder? Was er sich außer dem Recht auf seine Gewehre von einem Präsidenten wünsche? Einen harten Typen (a tough ass) wünscht er sich da oben in Washington. Und für was er hart sein soll? Den Iran soll er zur Raison bringen. Und wozu das? Achselzucken.

Die Barfrau hatte versprochen, den Fernseher für die Debatte anzumachen, einen weiteren Fernseher in der äußersten Ecke der sehr geräumigen Bar, da wo ein Sofa und einige bequeme Sessel mit Armlehnen stehen, in einer abgeteilten Ecke, die Kuschelecke. Im Verlaufe der Debatte kommen einige Männer herüber und hören eine Weile zu. Schallendes Gelächter, als Quayle auf seine Erfolge als Umweltpolitiker verweist. „Guck mal, dem läuft ja der Sabber aus den Mundwinkeln“, bemerkt einer. Bentson kommt bei den Leuten hier an, er ist souverän, charmant, Herr der Lage, hat die Lacher immer wieder auf seiner Seite. Quayle wirkt in dieser Umgebung wie ein Pennäler, wie ein High-School -Absolvent, der auf der Schulabschlußfeier vor den versammelten Eltern seine Festrede hält. Danforth Quayle muß sich sehr genau die Videos mit Oliver Norths Aussagen vor dem Untersuchungsausschuß des Kongresses im letzten Jahr angesehen haben, der gleiche gläubig nach oben geschlagen und in die Ferne gehende blaue Blick. „Look at that stary eyed baby face“, lacht einer, der vom Truck-Rennen mal kurz herübergekommen ist. Schallendes Gelächter. Für Bush werden gleichwohl die meisten hier stimmen.

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