: Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich: So treiben es die Betreiber
Berliner Verwaltungsgericht bestätigt: RWE und Mainzer Landesregierung spielten bei der dubiosen Genehmigung des Atommeilers harmonisch zusammen / Schriftliche Urteilsbegründung liegt vor ■ Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - Jetzt haben es die Atomstromer vom RWE und die rheinland-pfälzische Landesregierung schriftlich: Bei der Genehmigung des inzwischen stillgelegten Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich wurde geschoben, betrogen und mit üblen Winkelzügen getrickst. Die seit gestern vorliegende schriftliche Begründung zum Jahrhundert-Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts bestätigt dies auf 29 Seiten.
Am 9.September hatte Gerichtspräsident Horst Sendler den vorläufigen Schlußstrich nach 13 Jahren verschiedenster Prozesse durch alle Instanzen gezogen und das AKW Mühlheim -Kärlich stillgelegt. Mit seinem Urteil erklärte er die erste Teilgenehmigung für den Atommeiler im Rheintal vom Januar 1975 für „insgesamt rechtswidrig“. Zum ersten Mal hatte das höchste deutsche Verwaltungsgericht ein AKW stillgelegt. Die Gründe für diese spektakuläre Entscheidung wurden jetzt im einzelnen dargelegt.
Zentraler Punkt der schriftlichen Urteilsbegründung ist die Abkehr der Betreiber von ihrem ursprünglichen Reaktorkonzept. Wegen erheblicher Probleme mit dem Baugrund war der Bauplatz mehrfach hin- und hergeschoben worden. Zuletzt wuchs das AKW nicht nur auf einem anderen Baugelände empor, es hatte auch ein anderes Gesicht. Die genehmigte und geplante Kompaktbauweise wurde aufgegeben, Reaktorgebäude und Maschinenhaus in getrennter Bauweise errichtet. Doch die Genehmigung war die alte. Das Gericht hält dem RWE und der Landesregierung jetzt vor, daß sie genau gewußt haben, daß die ursprüngliche und genehmigte Planung „auf der geologischen Bruchlinie“ längst überholt war: Die Landesregierung habe also „eine Genehmigung aufgrund der ursprünglichen Planung erteilt, von der (sie) wissen mußte, daß sie nicht mehr verwirklicht werden sollte“.
Zum Zeitpunkt der Genehmigung lagen bereits Gutachten vor, die den Baugrund als eindeutig ungeeignet klassifizierten. Mehr noch: Während Mainz die alte Planung genehmigte, lag die Neu-planung beim RWE bereits in der Schublade. Das RWE wollte Zeit und vor allem Geld sparen. Das Gericht: “... die Durchführung der ursprünglichen Planung ... war nicht mehr beabsichtigt. Dies wird denn auch dadurch bestätigt, daß die Beigeladenen (das RWE die Red.) nur elf Tage nach Erlaß der Genehmigung die Freigabe aufgrund einer geänderten Planung beantragten.“ Auf deutsch: Kaum hatte der Energiekonzern die Genehmigung aufgrund einer überholten Planung vorliegen, ließ er eine Schamfrist verstreichen und schob nach elf Tagen die neue, eigentliche Planung nach. Die wurde von Heinrich Holtenbrink, dem damaligen CDU-Wirtschaftsminister der Landesregierung Kohl abgesegnet - ohne ein neues Verfahren mit Bürgerbeteiligung zu fordern. Holtenbrink stand bei den Betreibern im Wort. Er hatte dem RWE die erste Teilgenehmigung für September 1974 versprochen. Das RWE hatte Druck gemacht: Schon im ersten Bauantrag von 1972 wurde vor einem zu erwartenden „Stromengpaß“ gewarnt. Der kam zwar nie, dafür kam aber die Genehmigung aus Mainz für eine Anlage, von der alle wußten, daß sie so niemals gebaut wird.
Gebaut und in Betrieb genommen wurde ein Atommeiler, der in seiner wirklichen Gestalt nie den Vorschriften entsprechend überprüft wurde. „Es bedurfte im Interesse jedes in der Umgebung wohnenden Bürgers der uneingeschränkten, durch überholte Vorentscheidungen nicht beeinflußten Prüfung, ob das neue Anlagenkonzept ein gleiches Maß an Sicherheit bot wie das ursprüngliche, oder ob, weil dieses aufgegeben worden war, auch der Standort Mülheim-Kärlich aufgegeben werden mußte.“ Das Aufgeben des Standorts kam für RWE und Landesregierung nicht in Frage. Sie hofften, daß die Gerichte ihre dubiose Genehmigungspraxis decken würden. Das Berliner Gericht hat dies nicht getan. Es stellt ausdrücklich fest, daß auch alle anderen nachfolgenden Teilgenehmigungen „nicht ausreichen, die Rechtmäßigkeit der Anlage insgesamt festzustellen und deren Errichtung und Betrieb zu gestatten“.
So muß jetzt erneut eine erste Teilgenehmigung samt Bürgerbeteiligung, Anhörung, Klagen usw. für ein Atomkraftwerk erlassen werden, das mehr als ein Jahr am Netz war. Der 79jährige Kläger Walter Thal und sein Sachbeistand Joachim Scheer sehen sich durch das jetzt vorliegende Urteil „in unserer Position voll bestätigt“. Von Euphorie ist dennoch nichts zu spüren. Man wartet gespannt auf die nächsten Schritte von RWE und Landesregierung, die jetzt am Zug sind. Wird eine neue erste Teilgenehmigung erteilt, darf wieder geklagt werden. Vielleicht wird dann irgendwann im Jahre 2000 die endgültige Entscheidung fallen.
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