: Karl Marx‘ Meisterschüler
■ Internationale Konferenz über den vergessenen Theoretiker Karl Kautsky
Ein vergessener Lehrmeister der internationalen Arbeiterbewegung starb vor 50 Jahren: Karl Kautsky. Just zu seinem Todestag, dem kommenden Montag, wird in Bremen der Versuch gemacht, zumindest die Erinnerung an ihn zu beleben: Dann beginnt im Bremer Parkhotel eine einwöchige wissenschaftliche Konferenz. Eröffnet wird sie schon am Sonntag abend mit einem Rathausempfang bei Bürgermeister Klaus Wedemeier. Das Konferenzthema: „Karl Kautskys Bedeutung in der Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung“. Ebenfalls vom kommenden Montag an wird im Foyer der Bürgerschaft eine Ausstellung über Kautsky, den „vergessenen Meisterschüler Karl Marx'“ zu sehen sein.
Initiatoren der Konferenz sind die Bremer Historiker Heinz Josef Steinberg und Til Schelz. Kautsky, jahrzentelang wichtigster Theoretiker der SPD, habe mit seinen Schriften den Marxismus unter die Arbeiter getragen, verriet Steinberg gestern vorab einigen JournalistInnen. Er habe auch die russischen Bolschewiki stark beeinflußt. Bei einem Besuch im Kreml habe er sich selbst davon überzeugen können. In Lenins früherem Arbeitszimmer habe er in den Bücherschrank geguckt und viele Titel von Kautsky entdeckt.
Dennoch stammt von Lenin ja das Buch: „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“. Kautsky sei von den revolutionären Linken ebenso bekämpft worden wie von den „Revisionisten“ in der SPD der Jahrhundertwende, die die Arbeiterbewegung friedlich in den Kapitalismus hineinwachsen lassen wollten. Gegen die russischen Bolschewiki habe er seine Meinung verteidigen müssen, daß es Sozialismus ohne Demokratie nicht geben könne. Alt-Bolschewiki, die ihn damals ablehnten, wie zum Beispiel Trotzki oder Radek, seien später Opfer dessen geworden, wovor Kautsky immer gewarnt hatte: nämlich des Terrors der tatsächlichen oder vermeintlichen Revolutionäre.
Dennoch ist Kautsky heute fast vergesen. Seine mittlere Position zwischen dem rechten und dem linken Flügel der Arbeiterbewegung hat seiner Bedeutung ein Ende gemacht, als die Flügel sich nach dem ersten Weltkrieg in konkurrierenden Parteien (KPD und SPD) organisierten. Seine Rolle als Redakteur der „Neuen Zeit“, die vor dem Krieg das theoretische Organ der internationalen Arbeiterbewegung war und in der die widerstreitenden Meinungen augetragen wurden, war nun ausgespielt.
An der Kautsky-Konferenz werden neben Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik und den USA auch Kautsky-Experten aus Polen und der DDR teilnehmen. Prominenteste Frau: Annelies Laschitza vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED.
mw
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