: HENRIETTE HERZ
■ ELASTISCHE PREUSSEN
Diese zur Ruhe aufgeforderten Berliner waren so kindlich ruheliebend, daß, als der ruhepredigende General wenige Tage darauf zu Pferde an der Spitze einiger noch in der Stadt zurückgebliebener Truppen auszog, sie ihn mit der Bitte umscharten, sie doch nicht zu verlassen. „Ich lasse Euch ja meine Kinder zurück!“ war die Antwort des Kriegers. Die Leute sahen sich verblüfft an. Fast keiner wußte, wer diese »Kinder waren. Aber diese Kinder waren leibliche und keine anderen als die Fürstin Hatzfeld und ihr Gemahl. (...)
Dies war die letzte Tat des letzten preußischen Generals, welchen Berlin auf mehrere Jahre hinaus an der Spitze von Truppen in seinen Mauern sah. Er war General der Infanterie geworden, wie er Chef der Bank und Seehandlung, Generalpostmeister, Geheimer Staats- und Kabinettsminister, Kurator und gar Präsident der Akademie und noch vieles andere geworden war und so die heterogenen Ämter und Würden in seiner Person vereinigte: weil es seit Jahren einmal hervorgebracht war, daß fast jedes vakante hohe und einträgliche Amt dem Grafen von der Schulenburg-Kehnert zufiel ...
Die Furcht vor dem Heldenmut der Berliner mußte wohl in der Familie erblich sein. Denn kaum war der Schwiegervater abgezogen und hatte dem Schwiegersohn die Obhut der Stadt überlassen, so wußte dieser wieder nichts Eiligeres zu tun, als das Heldenvolk vor jedem Widerstand zu warnen: „Ein jeder werde schreckliche Folgen haben. Der Überwinder ehre nur ruhige Hingebung im Unglück.“ Die letztere Behauptung war ebenso neu als kühn, aber die Warnung in der Tat lächerlich. Doch einigen bangen Gemütern wurde dadurch noch banger. Sie fürchteten, daß ein heimlicher Widerstand sich organisiert habe, etwa von rauf- und raublustigen Horden, die sich von auswärts hereingeschlichen haben mochten. Das waren für die Einsichtigeren traurige Tage, das war ein klägliches Ende der vaterländischen Herrschaft. Aber wer 1813 erlebt hat, braucht sich nicht zu scheuen, die Erinnerung an 1806 zu fördern. Sie kann für jede Zukunft, wie sich diese auch gestalten möge, dazu dienen, das Vertrauen auf die Elastizität des preußischen Volkes wie seiner Regierung aufrechtzuerhalten. Welche Änderung in wenigen Jahren!
Nach der Niederlage gegen napoleonische Truppen verließ 1806 die Regierung die Stadt Berlin, im Zuge der „Befreiungskriege“ kehrte sie 1813 zurück. Henriette Herz, von der die Beschreibung der Elastizität der Berliner stammt, kam aus einer jüdischen Familie und war unter anderen mit Wilhelm von Humboldt und Schleiermacher befreundet. Ausgewählt von
Michael Trabitzsch
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