Gesungene Volksverhetzung

■ Weil sie auf einer Feier Volksverhetzendes gesungen haben sollen, stehen drei Mitglieder der JU vor Gericht / Angeklagte distanzieren sich von dem Vorfall

Wegen rechtsextremistischer und volkshetzender Ausschreitungen am Rande einer Silvesterfeier der Jungen Union Tempelhof stehen seit gestern drei Männer im Alter von 19 bis 25 Jahren vor dem Jugendschöffengericht. Die Angeklagten, die mit zusammen mit weiteren Festteilnehmern das nationalsozialistische Horst-Wessel Lied angestimmt, ein Lied mit volksverhetzendem Inhalt gegen den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Galinski, und die SPD gesungen, sowie mehrfach „Sieg Heil“ gerufen und dabei die Hand zum sogenannten deutschen Gruß erhoben haben sollen, waren zum fraglichen Zeitpunkt alle Mitglieder der Jungen Union (JU) Kreisverband Tempelhof.

Der 25jährige Angeklagte Dirk W., der sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft als Einpeitscher hervorgetan haben soll, war seinerzeit sogar stellvertretender Kreisvorsitzender. Er war nach Bekanntwerden des Vorfalls dem drohenden Parteiausschluß zuvorgekommen, indem er ebenso wie der Mitangeklagte Dietmar K. aus der Jungen Union austrat. Der dritte Angeklagte, Oliver G., hatte vom Kreisparteigericht nur einen Verweis erhalten.

Die Angeklagten erklärten gestern, bei der Silvesterfeier „Stimmungslieder“ gesungen zu haben. Daß sich unter diesen auch das sogenannte „Tag der Revolution-Lied“ nach der Melodie von „Glory Glory Hallelujah“ mit Texten wie „wir füllen unser Schwimmbad mit dem Blut der SPD“ befunden habe, hielten sie im Nachhinein für höchst verwerflich. Es sei „sehr geschmacklos“, sich so mit seinen politischen Gegnern auseinanderzusetzen und auch nicht mit den Grundsätzen ihrer Partei vereinbar. Keinesfalls jedoch, so versicherten die Angeklagten, hätten sie die letzte Strophe dieses Liedes, nämlich „wir hängen Heinz Galinski vor der Synagoge auf“ über die Lippen gebracht. Auf die Frage des Richters, wie es dann zu der Anzeige habe kommen können, verwiesen sie auf die Macht- und Flügelkämpfe in der Jungen Union.

Sie, Vertreter einer gemäßigten christlich konsverativen Politik, seien der Intrige des als „rechtsaußen“ bekannten Flügels um Lutz Gutowski zum Opfer gefallen. Jener Flügel habe seine „ungeheuerlichen“ Behauptungen nämlich nicht Anfang 1987, sondern erst ein dreiviertel Jahr später erhoben: Zwei Tage vor der Wahl des Kreisvorstandes der JU Tempelhof.

Damit hätten sie verhindert, daß der Kandidat mit den besten Chancen, ein Vertreter der Gemäßigten, gewählt worden sei. Der Ausgang dieser Wahl habe jedoch noch weiterreichende Konsequenzen gehabt. Denn nur so habei der Kandidat der Reformer, Peter Kurt, einen Monat später bei JU -Landesvorstands-Wahl dem Betonisten Gunnar Sohn unterliegen können.

Die gestern gehörten 14 Zeugen - 14 an der Zahl - waren zu zwei Dritteln der Seilschaft um Gutowoski und zu einem Drittel dem gemäßigten Flügel der JU Tempelhof zuzuordnen. Die Anhänger des Rechtsaußen-Flügels, unter ihnen auch der Skinhead Heiko Luge, belasteten die Angeklagten eher mit verschwommenen Aussagen, während die Gemäßigten von dem in Rede stehenden Vorfall nichts mitbekommen haben wollten. Der Prozeß wird am Mittwoch fortgesetzt.

plu