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So tot war er noch nie

■ Charlie Parker im Kino: „Bird“ von Clint Eastwood

Musik hat keine Handlung - Musik hat Bilder. Ein schönes Bild zur Musik Charlie Parkers: Ein Musiker hört ihn in den späten vierziger Jahren, verkauft sein eigenes Instrument und folgt ihm durch die USA. Er besorgt ihm Rauschgift und Frauen und trägt ihm den Saxophonkoffer. Bei jedem Auftritt bringt er im Club versteckt ein Mikrophon an, legt die Kabel in die Toilette und schließt sich dort mit seinem Tonbandgerät ein. Tonbänder sind teuer, und so nimmt er nur die Soli Parkers auf, Stunden um Stunden. Er wird ihn nie wieder spielen sehen, nur hören, mit Kopfhörern im verriegelten Klosett.

Musiker haben eine Geschichte. Geschichten von Mißverständnissen, vom Scheitern, Erfolg, Unverständnis, Durchbruch, Abstieg - Ehegeschichten, Geldgeschichten, alltägliche Geschichten. Manchmal sind sie aufregend, meistens langweilig. Musiker sind nicht interessanter als andere Menschen, eher enttäuschender, weil man die Musik mit der Person verwechselt hatte.

Clint Eastwood hat einen Film über Charlie Parker gedreht mit einer Geschichte und ohne Bilder. Die Geschichte von Charles Parker jr. begann am 29.August 1920 in Kansas City und endete am 4.März 1955 in New York. Mit fünfzehn verfolgte er nächtelang die Saxophonschlachten in den Clubs, imitierte die Griffe seiner Vorbilder, kämpfte sich durch Swing-Orchester, blies schließlich seine ersten zwölf Takte über „Hootie Blues“ auf Schellackplatte.

Ein mögliches Bild: Tausend Meilen entfernt kauft sich ein anderer Musiker die Platte, und die zwölf Takte verändern die Welt. Der Anfang einer Revolution. Nichts davon in Eastwoods Film. Die Zuschauer machen große Augen, nicken mit dem Kopf, schnippen mit den Fingern und schreien „Yeah, man!“. Der Durchbruch des Bebop als Drehbuch. Clint Eastwood liebt die Musik von Charlie Parker und findet keine Bilder dafür.

Er geht nicht von der Hektik, vom Rauschen, von der Schönheit der Musik aus, sondern von den Geschichten, die die Musik erklären sollen, und da wird's naiv. Parker bricht im Studio nach der Aufnahme von Lover man zusammen - er hat zu exzessiv gelebt. Parker läuft mit offenem Mantel durch regennasse, dunkle Straßen - er ist einsam und verzweifelt. Parker greift im Bellevue-Hospital einen anderen Patienten an - so weit bringt dich das Rauschgift. Parker liegt auf dem Teppich und spielt mit seinen Kindern eigentlich sehnt er sich nach einem Heim und Geborgenheit. Der Musiker ist auch nur ein Mensch, jede Szene eine Sinn -Demonstration - was zu beweisen war.

Ein Schlagzeugbecken fliegt durch die Luft, krachend landet es auf dem Boden der Bühne, kreist und kommt zur Ruhe. Das Solo des jungen Parker war mies, mit Tränen in den Augen verläßt er unter dem Lachen des Publikums das Lokal. Immer wieder fliegt das Becken durch den Film. Symbolhaft! Und der Saxophonist, der ihn in Kansas City von der Bühne bläst, darf als musikalische Metapher noch zweimal auftreten. In New York hört er den inzwischen „großen“ Parker, erkennt seinen früheren Irrtum, geht und wirft sein Saxophon von der Brücke aus ins Wasser, es versinkt. Am Ende von Birds Karriere treffen sie ein drittes Mal aufeinander. Parker, unsicher und verzweifelt, gerät in ein Rhythm'n'Blues -Konzert, das sei Rock'n'Roll, erklärt man ihm, und wieder steht die Metapher auf der Bühne, im Glamee-Anzug.

Kurz vor einem Selbstmordversuch mit Jodtinktur schaut Parker in den Badezimmerspiegel, sein Gesicht in Großaufnahme, eine Träne im Entstehen, Musik setzt ein. Man hält es nicht für möglich - eine Rückblende folgt. Immer wieder müssen Gesichter verschwimmen, Becken fliegen, damit die Erinnerungen ihre Chance bekommen.

Clint Eastwood bringt nur, was man anständigerweise filmen sollte; das ist bei einem Spielfilm zuwenig. Er zeigt die Nadel auf dem Tisch, statt das liebevolle Streicheln der Nadel, verschweigt Parkers Freß- und Sauforgien, seine Potenzaufführungen mit mehreren Prostituierten im Hotelbett, zu denen er andere Musiker als Zuschauer einlädt, wie er nackt, schreiend durch die Hotelhalle läuft. Biographien interessieren mich nur als Voyeur, Musik kann ich auch so hören.

Einmal erfindet er doch ein eigenes Bild: eine jüdische Hochzeit, die Gäste tanzen, runde Käppis, dunkle lange Bärte, links herum, rechts herum. Die Musik dreht sich, volksliedhaft, und dazwischen untergründig schräge Bebopläufe. Die Tänzer stocken kurz, verwundert und grinsen dann dem seltsamen Neger mit seinem Käppi zu. Wenigstens einmal ist zu sehen, was man hört.

Der Rest ist chemisch gereinigt. Am entsetzlichsten - die Musik. Clint Eastwood hat in Zusammenarbeit mit Lennie Niehaus die Originalmusik Parkers bearbeitet, seine Soli herausgefiltert, die Begleitung weggemischt. Studiomusiker spielen nun nachträglich Weichgespültes zu seiner trockenen, harten Musik - eine widerliche Idee.

Man müßte sich nicht zweieinhalb Stunden langweilen und ärgern, wäre das Ganze nicht so modellhaft schlecht. Der Dialog im Stil „Hallo Napoleon, wie findest du Waterloo? Waterloo klingt gut, Mann!“, ein Kostümfilm auf Studiostraßen, die Nebendarsteller als wandelnde Schaufensterpuppen. Schauspieler, deren Charme darin besteht, den Goldzahn Charlie Parkers blitzen zu lassen oder Dizzy Gillespie zu ähneln. Ein Realismus, der sich darauf verläßt, daß Eiffelturm Paris bedeutet. Eine Dramaturgie, die glaubt, daß die Abfolge von traurigen Ereignissen Tragik erzeugt.

In dem schönen Dokumentarfilm von Huraux Bird now, der zur Zeit in einigen Städten läuft, sagt ein Mann: „Sie wollen einen Film über dich machen, paß auf, Bird!“ Es hat ihn erwischt, trotzdem. So tot war Parker noch nie.

Konrad Heidkamp

Clint Eastwood: Bird. Buch Joel Oliansky; mit Forest Whitaker, Diane Verona; USA 1988, 160 Minuten.

Eine Alternative: die Schallplatten Charlie Parkers und das Buch Ross Russells Bird lebt, Hannibal Verlag.

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