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Gorbatschow-Gegner bleibt

Der ukrainische KP-Vorsitzende und Glasnost-Gegner Wladimir Schtscherbizki rettete Anfang der Woche seinen Chefsessel / Er lobte Michail Gorbatschow und tadelte seinen Regierungsapparat  ■  Von Barbara Kerneck

Berlin (taz) - Der ukrainische Parteichef Wladimir Schtscherbizki hat in Kiew seine Position als Parteichef der Ukrainer offenbar nach dem Radfahrerprinzip gerettet, indem er Gorbatschow überschwenglich huldigte und gleichzeitig auf den lokalen ukrainischen Regierungsapparat verbal eindrosch. Schtscherbizki ist nach dem Umbau an der sowjetischen Spitze der letzte Vertreter der „alten Garde“ im Politbüro. Seinem Ausscheiden aus dieser Position, das die Reformer schon seit Monaten anstreben, hätte nach „Sowjetbrauch“ der Rücktritt als ukrainischer Parteiführer vorausgehen müssen.

Die ungewöhnliche zweitägige Tagungsdauer des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der ukrainischen Sowjetrepublik läßt darauf schließen, daß es dabei zu heftigen Richtungskämpfen kam. In seiner Eröffnungsrede in Kiew sagte Schtscherbizki, in dieser „Etappe der Perfektionierung des politischen Systems“ sei es „nur logisch und vernünftig“ gewesen, KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow auch an die Spitze des Staates zu stellen. Den lokalen Parteiorganisationen und führenden Vertretern der ukrainischen Regierung warf er vor, daß sie ihre Arbeitsmethoden den Erfordernissen der Perestroika nicht angepaßt hätten. Allein in diesem Jahr arbeiteten 1.300 Unternehmen defizitär, jedes fünfte Arbeitskollektiv könne das Plansoll nicht erfüllen.

Andere Redner beklagten, daß in zahlreichen Regionen Fleisch, Milch, Öl und Fisch Mangelware seien. Trotz dieser Kritik beschlossen die Delegierten nur eine einzige personelle Änderung: der bisherige ukrainische ZK -Generalsekretär wurde ersetzt, sein Nachfolger soll sich speziell mit Agrarfragen befassen.

Zur Stärkung Schtscherbizkis, der in der Ukraine schon seit 16 Jahren als Parteichef schaltet und waltet, mag die relative wirtschaftliche Stärke dieser klimatisch begünstigten Unionsrepublik beitragen, die nicht nur als die Kornkammer, sondern auch als die Zuckerdose der Sowjetunion gilt. Hier hat auch die einzige sowjetische Akademie für Elektronik ihren Sitz, deren Arbeit international Aufmerksamkeit findet und hier werden in einem supermodernen Werk die härtesten Industriediamanten der Welt produziert.

Schtscherbizki, der 1972 als Garant des großrussischen Einflusses unter den Ukrainern an die Macht kam, hat es zudem verstanden, durch geschickt dosierte Zugeständnisse, den Frieden zwischen den verschiedenen nationalen Einwohnern des zweitgrößten Sowjetstaates zu erhalten.

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