Dreimal Roncalli ist Bremer Recht

■ Circus Roncalli gastiert wieder (bis 6. November) in Bremen - und schon sieht man Leute mit Konfetti im Haar: Ein liebenswerter Cirkus für „tout le village“

Jetzt kann man wieder, wenn man etwas später abends in die Kneipe geht, Leute treffen mit Konfetti im Haar und roten Herzen im Gesicht, die immer ein bißchen lächeln und verklärt wirken - denn Roncalli ist wieder in der Stadt. Schon zum dritten Mal - inzwischen muß fast jeder schon einmal dringewesen sein. Das neue Programm ist auch zugeschnitten für das Publikum, das nicht zum ersten Mal vom Traumtheater bezaubert werden braucht: das Poetische ist etwas zurückgenommen und stattdessen gibt es mehr solides Artistenhandwerk und

freche, witzige Nummern.

Alles, was im traditionellen Cirkus vorgeführt wurde, ist auch im Roncalliprogramm zu finden: Nummern mit Pferden und eine Raubtiergruppe, Ballance-und Jongliernummern, der Tanz auf dem Seil und exotische Künstler aus fernen Ländern. Aber in diesem klassischen Rahmen werden die Nummern nun frischer und ironischer vorgeführt. Die Seiltänzerin Pasqualina hat die alten Zöpfe abgeschnitten und tanzt mit kurzer modischer Frisur zwar immer noch in Spitzenschuhen aber doch lieber Tango auf dem Seil. Susanna Svenson tanzt zwar zuerst wunderschön im Ballettkleidchen auf dem Rücken ihres Pferdes, aber wenig später versucht ein sehr unbeholfenes aber wagemutiges Rentnerehepaar auch auf die Pferde zu kommen und oben zu bleiben, und man kann kaum glauben, daß die anmutige Primaballerina von eben jetzt so uneitel, aber mit der gleichen Präzision, einen Narren aus sich macht.

In der Raubtiernummer von Rene Strickler zwingt kein Macho -Ddompteur die Löwen und Tiger durch Feuerreifen zu springen oder andere Kunststückchen gegen ihre Natur vorzuführen. Am besten ist diese Nummer, wenn er einfach nur mit den großen Katzen schmust.

Dies ist kein Circus des Nervenkitzels und der Höchstleistungen, aber als der Chinese Tseng Hai Sun und seine Partnerin sich und einen Krieger in schwerer Rüstung an ihren Haaren hoch bis unter die Kuppel ziehen ließen, mußte ich weggucken. Ein paar Kunststückchen gingen auch beim ersten Versuch schief: der Balanceakt mit fünf Tassen und Untertassen auf dem Einrad oder der Versuch, sechs Teller zugleich über die Köpfe des Publikums fliegen zu lassen. Die Zuschauer hielten zu den Künstlern, vielleicht brachten die kleinen Patzer mehr Applaus als einfehlerloser Auftritt.

Alles läuft in einem genau kalkulierten Timing ab, da ist auch der Abbau des Raubtierkäfigs eine Nummer für sich, die dann auch mal kurz in Zeitlupe vorgeführt wird. Das Programm ist mit seinen Stimmungswechseln genau berechnet, am Schluß kom

men zwei gegensätzliche Clownsnummern hintereinander. Zuerst das klassische Clownstrio mit dem Direktor als dummen August, das von Anfang an mit dabei war, und sich kaum geändert hat. Alle wissen, was mit dem Hut passiert, und daß die Teller zubrechen. Danach aber der Amerikaner Peter Shub als moderner Clown, der eher vom Straßentheater als aus der Circustradition kommt. Ohne Pappnase und nur mit kleinen Requisiten, etwa einem Luftballon, einem Stativ oder einem Stofftierchen, zeigt er seinen absurden Witz in spontan wirkenden Miniaturen. Bei ihm wird das Publikum wirklich mit einbezogen, und wer vorne sitzt kann damit rechenen, seinen Schuh gegen einen Beutel Popkorn eintauschen zu müßen. Sein Auftritt ist der Höhepunkt des Abends. Die beiden witzigen Ab

schlußnummern zeigen noch einmal ganz klar das Konzept des Programms: die klassische Clownsnummer schon fast als ein zärtlich präsentiertes Ritual, wie die roten Herzen oder der Tanz mit dem Publikum beim Finale. Peter Shub steht für die neue respektlose Richtung, und diese Mischung rührte und begeisterte auch diesmal wieder. (Sogar das Premierenpublikum, obwohl sich hier wieder „tout le village“ traf. Radio Bremen scheint Freikarten für eine ganze Hundertschaft bekommen zu haben.)

Roncalli ist immer noch ein Zustand, in den eine ganze Stadt verfällt. In ein paar Tagen wird in Bremen eh der Freimarkts-Ausnahmezustand ausgerufen, und das könnte dann eine ganz neue Mischung ergeben: Ischaa Roncalli.

Wilfried Hippen