: LANG IST'S HER
■ Wer schießt hier wo?
1982 ist das Video „Wer schießt hier wo?“ entstanden. Sechs lumpige Jahre ist das her und doch fällt es schwer, sich an die graue Vorzeit der Friedensdebatten zu erinnern, wo mit qualmenden Köpfen der Nato-Nachrüstungsbeschluß bequasselt wurde und jeder im Schlaf die technischen Daten der Cruise Missiles runterleiern konnte. Nuancen verschieben sich, Ramstein grüßt bei den Aufnahmen einer Flugschau, die in 'Auto, Motor, Sport'-Bravour kommentiert wird („ein rasanter Steilflug... Maschinen der unteren Mittelklasse“).
Ein fröhliches Wiedersehen gibt es mit den ganzen Knallchargen der Macht, die einem damals die nötige Wut zum Widerstand einimpften, weil ihre Ignoranz, Dummheit und Heuchelei emotional viel stärker griff als jedes noch so detailiert umrissene atomare Inferno. Mit gewohntem Hirnschaden plädoyiert Wörner für die Neutronenwaffe („Schadensbegrenzung für die Zivilbevölkerung“), ihr Erfinder Sam Cohen hätte mit seiner Bombe gern ganz Vietnam liquidiert gesehen, und auch die Begegnung mit dem Jutesack der Friedensbewegten, Josef Leinen, bleibt einem nicht erspart.
Der erste Teil des Films „Die Überlebenden werden die Toten beneiden“ konzentriert sich auf die Illusion eines möglichen Zivilschutzes („Ist eine Jauchegrube ein Schutzraum?“), ist ziemlich spannend gemacht; man wird nicht mit längst überholtem Zahlenmaterial erschlagen und auch von den inzwischen hinlänglich bekannten Ergüssen tiefschürfender Friedensforscher bleibt man relativ unbehelligt. Mit klugen Soundmontagen und klar überlegten Schnitten wird offengelegt, daß die Kriegsvorbereitungen längst Alltagsbestand sind und sich von ihrer Psychologie her in die Köpfe hineingefressen haben.
Dann aber ufert's zu einem langatmigen, konfusen Rundumschlag aus, dem bei der Bewältigung von Kriegsökonomie und Kriegskapitalismus jedes Konzept flöten geht und der sich auch zum Schluß vor der Frage eines effektiven Widerstands drückt. Die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Militanz wird zu einem grellen Gewaltclip zusammengestümmelt, latschen für Frieden, Freude und Eierkuchen ist angesagt. Das ist umso ärgerlicher, weil es den Film nicht mal als kleine Nostalgieschau empfehlenswert macht.
Andreas Döhler
Zu sehen im El Locco, Freitag und Sonntag
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