: Mit Maggies „Aktivbürger“ in die 90er Jahre
■ Hochsicherheitsmaßnahmen zum Parteitag der britischen Konservativen / Torries wollen mit Politik der Entstaatlichung und Strafrechtsverschärfung die Briten ins nächste Jahrzehnt führen
Brighton, taz - Draußen auf hoher See, eine knappe Meile vor dem Brighton Pier dümpelt ein Minensuchboot der „Königlichen Marine“. Von den Dächern der Uferpromenade grüßen die Scharfschützen der Sondereinsatztruppe SAS. Ein Polizeihubschrauber kreist über der Szene, um die dreieinhalb Meilen geschützten Luftraums über dem Konferenzzentrum zu bewachen.
Vom Balkon des Brighton Hotel, wo vor genau vier Jahren eine IRA-Bombe den Thatcherismus beinahe begraben hätte, flattert die konservative Message heute wieder trotzig im Wind: „Leading Britain into the 1990's“.
Auf ihrem diesjährigen Parteitag rüsten sich die britischen Konservativen für eine weitere Dekade an der Macht. Drinnen, hinter den 100 Betonblocks zur Abwehr potentieller Suizid -Bomber im Beirut-Stil, hinter den Absperrgittern, Röntgengeräten und Schleusen mit Körperkontrollen, entfaltet sich das alljährliche Tory-Ritual. Jene furchtbar untelegenen demokratischen Verfahrens- und Abstimmungsprozeduren, mit denen sich die Konkurrenzparteien immer herumschlagen müssen, haben die Konservativen Gott sei Dank nicht nötig.
Die Partei-Maschine hat vom Autocue über die Rednerliste bis hin zur stehenden Ovation alles im Griff. Minister versprechen dem Parteivolk die übliche Polit-Diät: Sozialistenschelte, die totale Privatisierung, Prügel für die Arbeitslosen und natürlich, „Rübe ab“. Der Parteivorsitzende Peter Brook begann am Montag mit den obligatorischen Witzen über die zur Macht unfähigen Labour Party, Energieminister Parkinson kündigte am Dienstag für die nächste(!) - so sicher war man sich in Brighton Legislaturperiode die Entstaatlichung der Kohleindustrie unterm Bergarbeiterchef Arthur Scargill an; Arbeitsminister Fowler droht den Beziehern von Arbeitslosenhilfe mit weiteren Zwangsmaßnahmen und Innenminister Hurd forderte eine Verschärfung der Haftstrafen für Gewalttäter. Zur Gefahrenabwehr will er außerdem auf Bewährung entlassene Häftlinge mit einer elektronischen Hundemarke ausrüsten wenn der Holligan den Pub betritt und damit gegen Bewährungsauflagen verstößt, soll's zukünftig im Polizeipräsidium klingeln.
Nur Umweltminister Ridley stieß auf Kritik, als er die von einigen geforderte Ausweitung staatlicher (!) Raumplanung (richtig gehört) verweigerte. Der Grund für den überraschenden Ruf nach dem sonst nahezu abgeschafften Leviathan: Die im Thatcher-Kapitalismus immer dreister gewordenen Grundstücksspekulanten rücken dem Tory-wählenden Mittelstand allzu nahe auf die Pelle, indem sie in den Grüngürtel rund um London eine Wohnsiedlung nach der anderen pflanzen.
Ex-Premier Edward Heath mußte in diesem Jahr aus der Rolle fallen und Maggie vor versammelter Mannschaft für ihre in Belgien vorgebrachte EG-Schelte tadeln. Wenn es im Lager der Tories überhaupt ein ernsthaftes Problem gibt, dann ist es die Spaltung der Partei zwischen überzeugten Pro-Europäern und der chauvinistischen Thatcher-Riege.
Für letztere ist das Europa demnächst frei fließender Kapitalströme lediglich als Exportmarkt interessant, nicht aber als politisch-soziale Einheit.
Zum Abschluß des Parteitags wird Maggie dann dem (Partei)Volk endlich zeigen, mit welchen ideologischen Korrekturen der Thatcherismus in die nächste Dekade geht. Informationen der taz zufolge wird sie nach dem Abbau des Sozialstaats, der Entmachtung der Regionalbehörden und der Verdopplung der Kriminalitätsraten in den achziger Jahren als soziale Lösung für die neunziger Jahre ihr Modell des neuen „Aktivbürgers“ vorstellen. Dieses völlig durchprivatisierte Lebewesen der postdemokratischen Ära Großbritanniens wird einen Anteil seiner im harten Wettbewerb rücksichtslos erwirtschafteten Gewinne freiwillig an private Wohlfahrtsorganisationen weiterleiten, wird als selbsternannter Hilfssheriff der lokalen „neighbourhood patrol“ jede Woche seine Wache schieben und als Elternbeirat auf die Auslagerung der Bildungsstätte seiner Kinder aus dem staatlichen Erziehungssystem hinarbeiten.
Und schließlich ist dieser Aktivbürger auch noch so umweltbewußt, wie seine vor zwei Wochen zum Umweltschutz bekehrte Schöpferin. Gerne bezahlt er für den Strom auch noch etwas mehr, wenn die demnächst privatisierte Elektrizitätsindustrie ihre Kohlekraftwerke mit zehnjähriger Verspätung mit Filtern ausstatten muß. Was, wie Frau Thatcher mit Sicherheit weiter ausführen wird, nur für den Bau weiterer Atomkraftwerke spricht. Mit Atomkraft gegen den sauren Regen und mit dem neuen entkollektivierten Aktivbürger gegen den Sozialismus.
Rolf Paasch
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