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Mexiko in der Atomgemeinde

Der Reaktor Laguna Verde wird mit Brennelementen beladen / Widerstand von Viehzüchtern, Ökogruppen und Linksparteien / Ingenieure zum Teil von der KWU in der BRD ausgebildet  ■  Aus Mexiko-Stadt Reimar Paul

Ende Juli noch versicherte der damalige mexikanische Umweltminister Manuel Camacho Solis, das Atomkraftwerk Laguna Verde werde „auf absehbare Zeit“ nicht in Betrieb genommen. Jetzt ist die Erstbeladung des umstrittenen Reaktors mit Uran-Brennelementen für dieses Wochenende angekündigt.

Eine amtliche Begründung für den Bruch des öffentlich abgegebenen Versprechens gibt es nicht. Die plötzlich Eile, den politisch längst beschlossenen Schritt ins Zeitalter der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ nun praktisch zu vollziehen, dürfte aber Überlegungen geschuldet sein, den neuen, am 1.Dezember sein Amt antretenden Präsidenten Carlos Salinas de Gortari so weit wie möglich aus der Schußlinie zu nehmen und die politische Konfrontation mit den Atomgegner dem scheidenden Miguel de la Madrid zu belassen. Eine breite Koalition von Umweltschützern, Viehzüchtern und Linksparteien hat „anhaltenden Widerstand“ gegen Laguna Verde angekündigt.

Mit dem Bau des bei Veracruz an der Golfküste gelegenen Atomkraftwerks war bereits 1976 be gonnen worden. Mexiko schwamm damals im Öl, schwelgte in Wohlstandsträumen aus Prestigegründen und um „den technologischen Anschluß nicht zu verpassen“, mußte ein Kernkraftwerk her. Den Zuschlag für die Lieferung von zwei Druckwasserreaktoren a 500 Megawatt erhielt der US-Konzern General Electric, der sich mit rund fünf anderen Anbietern auf dem immer enger werdenden Weltmarkt streitet.

Im September 1987 gab eine aus Wien angereiste Kontrolleurskommission der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) grünes Licht für den Betrieb des ersten Kraftwerksblocks. Der zweite war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal zur Hälfte fertiggestellt. Die unverhältnismäßig lange Bauzeit von elf Jahren war für eine parlamentarische Untersuchungskommission Ausdruck von „Schlamperei und Korruption“. Am Bau waren 40 ausländische und 700 mexikanische Ingenieure beteiligt, die zum Teil bei der westdeutschen Kraftwerke Union ausgebildet wurden und bis zu fünfmal mehr verdienten als ihre Kollegen aus anderen Branchen. In diesen elf Jahren nahm man zudem eine Reihe technischer Veränderungen vor - so ist im fertiggestellten Block jetzt ein größerer, 650 Megawatt leistender Reaktor installiert - was die Kosten zusätzlich in die Höhe trieb. Dreieinhalb Milliarden Dollar wurden in den Lagunensand gesetzt. Und jeder Tag, an dem das AKW still steht, kostet nach offiziellen Angaben 180.000 Dollar.

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