Literaturpharao Nagib Mahfus

■ Anmerkungen zum ersten arabischen Literaturnobelpreisträger und ein Interview mit ihm

Mit Nagib Mahfus sprach Ekkehart Schmidt. Bis vergangenen Donnerstag kannte kaum jemand in den bundesrepublikanischen Feuilletons den ägyptischen Schriftsteller Nagib Mahfus. Bei ihrer Ignoranz ertappt, reagierten viele Literaturkritiker mit Arroganz. Monströs dumm die des Literaturchefs der FAZ, Frank Schirrmacher.

Nagib Mahfus, der 77jährige „Literaturpharao“ der arabischen Welt, steigt in seinen zitronengelben Pyjama und zieht sich die Decke über den Kopf. Um 13 Uhr hatte er an diesem Donnerstag sein Büro in der Kairoer Zeitungsredaktion von 'Al Ahram‘ verlassen und hatte sich zu haus sofort schlafen gelegt. Als eine Stunde später in der Redaktion der großen ägyptischen Tageszeitung eine Meldung aus Stockholm über den Ticker läuft, schläft er den Schlaf des Gerechten. Wenig später ist in seiner großen Wohnung am westlichen Nilufer die Hölle los. Photographen und Journalisten stürmen das Arbeitszimmer des Schriftstellers, gleißend hell leuchtet das Flutlicht der Fernsehleute jeden Winkel aus.

Glücklich und stolz sei er für die arabische Literatur. Die Auszeichnung gelte nicht ihm, sondern dem ganzen Volk, sagt er routiniert. Er denke jetzt an seine Lehrer Taha Hussein und Tewfil al Hakim, die den Nobelpreis vor ihm verdient hätten. Um 17 Uhr entschuldigt sich Mahfus, im Kaffeehaus Kasr en Nil, gegenüber der Neuen Oper, warten wie jeden Donnerstag seine Freunde.

Roman und Kurzgeschichte sind keine traditionellen arabischen Literaturformen, wurden aber bekannter und erfreuen sich jetzt großer Beliebtheit in Nahen Osten. Kairo war immer kulturelles und literarisches Zentrum der Region. Dort, im Stadtteil Gamaliya, wurde Nagib Mahfus im Dezember 1911 geboren. Seine Eltern kamen aus der Mittelklasse moslemischer Händler, die im nahen Basar Khan Khalili ihr Geld verdienten. Als er sechs Jahre alt war, zogen sie weg aus dem verstopften und konservativen Altstadtviertel in das damals moderne europäische Viertel Abbasiya. Dort ging Nagib zur Schule und studierte ab 1930 an der Cairo University Philosophie. Nach seinem Abschluß arbeitete Mahfus als Sekretär in der Universitätsverwaltung. Schon früh begann er zu schreiben, publizierte einige Kurzgeschichten. Von 1939 -54 arbeitete er im Ministerium für Religöse Angelegenheiten, dann war er bis 1972 Berater des Kultusministers.

Sein Werk läßt sich grob in drei Phasen teilen. Nach den ersten historischen Novellen, in denen er das Leben im pharaonischen Ägypten beschreibt, begann er in den frühen vierziger Jahren mit Kurzgeschichten und Romanen, die im modernen Ägypten spielen. Wir erleben hier Kairo im Zweiten Weltkrieg. Britischer Druck und die Erwartung des deutschen Einmarsches. Auf der Flucht vor der deutschen Bombardierung verschwinden Alters- und Klassenschranken in kollektiver Panik. „Die Midaq-Straße“, sein wohl bekanntestes Werk, entstand in dieser Zeit. Mahfus beschreibt das Leben in einer Straße nahe seines Geburtshauses. Held des Buches ist die Straße selbst.

Seine Trilogie entstand zwischen 1945 und 1952. Jeder Band ist nach einer Straße seiner Geburtsgegend benannt. Er beschreibt das Leben einer großen moslemischen Händlerfamilie in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Die Bände gingen den normalen Weg von Mahfus‘ Romanen: zunächst als Fortsezung in den Feuilletons ägyptischer Zeitungen, danach erst in Buchform. Mit der Trilogie gelang Mahfus der literarische Durchbruch. Erst jetzt interessierte man sich auch für seine früheren Werke.

Dennoch schrieb Mahfus nach der Revolution der Offiziere unter Gamal Abdel Nasser sieben Jahre lang nichts mehr. Er war sprachlos geworden, aber nicht, weil er unzufrieden mit den Ereignissen gewesen wäre, im Gegenteil. Jahrelang hatte er für die Revolution und gegen die Briten geschrieben. Seine Sprachlosigkeit resultierte vielmehr aus der Tatsache, daß die Welt, über die und in der er geschrieben hatte, so nicht mehr existierte. Erst 1959 erschien der metaphysisch -allegorische Roman „Die Kinder aus unserem Viertel“. Das Buch wurde zum Skandal. Mahfus hatte radikal seinen Stil gewechselt, seinen sozialen Realismus verlassen. Jetzt fanden sich auch religiöse Allegorien in seinen Büchern. Er drückte seine Enttäuschung über Nassers mißlungenen arabischen Sozialismus so deutlich aus, daß er gut beraten war, das Buch nur im Libanon zu veröffentlichen.

Schlüsselthema dieses neuen Abschnitts seiner Produktion ist die Hoffnungslosigkeit. Der Mißerfolg des Buches entmutigte Mahfus für einige Zeit. Erst 1962 erschien „Der Dieb und die Hunde“. Ein des Diebstahls überführter kleiner Gauner schwört nach seiner Entlassung Rache an der Gesellschaft, die ihn korrumpiert und zerstört hat. Es ist ein atemberaubend schnell geschriebenes Stück, ein pessimistisches Drama. Der Tod des Diebes ist unvermeidlich und tragisch. Auch die späteren Romane und Kurzgeschichten bleiben pessimistisch. Die Hauptperson in „Die Straße“, der Sohn einer Prostituierten, ist auf der fruchtlosen Suche nach seinem Vater und seiner Ehre. Das Bild ist klar und brutal: Eine Personifizierung Ägyptens, das mit Nasser erstmals seit Jahrhunderten wieder einen gebürtigen Ägypter als „Landesvater“ erhalten hatte.

In den letzten Jahrzehnten schrieb Mahfus vor allem philosophische Kurzgeschichten. Viele seiner Bücher wurden verfilmt und für das Theater umgeschrieben. Erst vor wenigen Monaten erschien das „Trio“, sein neuester Roman. Durch seine ständige Kinopräsenz wurde er bekannter, als es allein durch Bücher je möglich gewesen wäre. Seine einfache Sprache, die des Kairoer Dialektes, erreichte sein Publikum, die Menschen auf der Straße.

Ekkehart Schmidt