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ERINNERN UND TRINKEN

■ Gespräch mit Bettina Munk und den beiden Bardamen zur Ausstellung „Hamburg - Spanien“ unter dem Görlitzer Bahnhof

„Diese Ausstellung müssen wir uns angucken“ sagten zwei Bauarbeiter, die vor einigen Wochen die Kellerräume des Kreuzberger Gartenbauamtes unter dem Görlitzer Bahnhof renovierten. Eigentlich sollte Brian Eno dort rein, aber nach den sommerlichen Gewittergüssen war der Keller knietief im Schlamm versunken und Eno zog in die Windscheidtstraße. Glück für Bettina, der schon monatelang dieser Keller für eine Ausstellung zugesagt war. Seit einer Woche ist die Reise „Hamburg - Spanien“ möglich und auch die beiden Bauarbeiter waren da.

taz: „Hamburg - Spanien“, das ist keine herkömmliche Ausstellung mit Bildern oder Skulpturen, aber auch kein „Erlebnistunnel“, um Selbsterfahrungen zu machen. Was sagen die Besucher zu Deiner Ausstellung?

Bettina: Gestern waren zwei Kinder da, die extra wiedergekommen sind mit ihrer Mammi, weil sie die ganze Nacht davon geträumt haben. Aber es ist keine Geisterbahn!

Naja, ein bißchen schon.

B: Es kommt darauf an, was man sich vorstellt, was im eigenen Kopf drin ist, das kommt hier vielleicht raus.

Aber der dunkle Raum ist schon ganz schön gemein!

B: ...mit einem Lichtschlitz als Hoffnungsschimmer und einer wunderbaren Steigung.

Am schönsten finde ich das Radio in Spanien.

B: Das ist natürlich eine Mogelkiste, darin läuft Miles Davis, Concerto di Aranjuez von 1959.

Und das Radio?

B: Das hab‘ ich geschenkt bekommen, das ist aus Villingen im Schwarzwald. Das ganze hätte natürlich auch in Villingen losgehen und am Amazonas enden können. Spanien ist sowieso etwas Fiktives.

Aber Du warst mal da?

B: Ja, nachdem ich diese „Reise“ gemacht habe. Jeder hat sein eigenes Spanien. Die anderen landen in Gomera. Eigentlich ist es Miles Davis gegen Hans Albers.

Was hat Hans Albers da zu suchen?

B: Hans Albers ist da, wo alles zum „Tor der Welt“ hinausgeht: Hamburg. Wenn es Villingen wäre, müsste ich einen Schwarzwaldchor da vorne reinsetzen. Man geht ja durch soviele Türen, das man gar nicht mehr weiß, wo man eigentlich ist, außerdem sieht man nicht viel, nur immer wieder Türen, durch die man nicht zurückkann. Spanien ist nur ein Ölbild: „Öl auf Leinwand“ - weil das immer noch das Besondere ist, man riecht das Museum, wo einem dann die Päpste von vor vielen Jahren ansehen. Spanien ist hier so groß wie ein Schulheft. Und schön bunt. Ich hab mich während meines Urlaubs hingesetzt und ein kleines blödes Bild gemalt, so wie die Zahnärzte sich in ihrem Urlaub hinsetzen und ein kleine blöde Bilder malen. Ich wollte alle Farben drin haben, und dann kam ein Freund daher, der sagte die Farbe, die er in seinem Schlafzimmer hat: „Kaputt Mortum“. Ich mußte dann noch eine extra Farbtube kaufe. Zwischen den beiden Grüns hab‘ ich dann das „Kaputt Mortum“ raufgepinselt, schön dick, mindestens fünf Schichten.

Bist Du selbst durch die Ausstellung gegangen?

B: Ja, aber man verliert den Abstand.

Wie oft?

B: Mindestens jeden Tag einmal, um zu sehen ob auch alle Lichter an sind. Das Tolle ist, wenn Du sowas auf einem Plan gezeichnet hast, und dann fängst es an zu wachsen - und plötzlich ist es einfach da ...

Aber da wächst doch nichts?

B: Naja, doch, das haben zwei Jungs aufgebaut, „meine Kollegen“, und dann sah ich etwas, was vorher nur auf dem Papier gestanden hat, wie das wirklich funktioniert und entsteht. Da waren dann Gänge, die man vorher nur im Kopf hatte, wirklich da.

Was sagen denn die Leute, die da durchgehen. Hast Du mit denen geredet, oder gehen die gleich weg?

B: Ne, die kommen oft wieder. Eine Frau mußte ich mal „retten“, die hat sich nicht mehr weitergetraut. Plötzlich bollerte sie gegen die Tür und wollte wieder zurück. Eigentlich ist das gar nicht schlimm, man kommt zwar nicht zurück, aber immer vorwärts. Es ist keine Falle! Sie hat das nicht geglaubt und ist dann gleich gegangen. Aber die anderen kommen immer nochmal an die Bar. Zwei Portugiesen zum Beispiel, die haben wunderschöne portugiesische Gedichte in mein Heft geschrieben: Daß „Hamburg - Spanien“ nicht nur etwas ist, was einem gezeigt wird, wo man herum geht, wie bei einer Skulptur oder einem Bild, sondern daß die Leute etwas dazutun, daß alle Leute, die da durchgehen eigentlich die Kunst ausmachen.

Bardame Dagie: Und alle kommen mit leuchtenden Augen wieder raus, alle! Leicht gegruselt, aber doch am Schluß gerettet.

Kommt das Leuchten nicht vom Sekt?

Dagie: Die haben ja nicht alle Sekt getrunken.

Man muß also vorher nichts trinken?

B: Nein, man muß nicht. Die Leute fürchten sich immer, wenn die erste Tür so schwer zu öffnen ist, die Tür nach Hamburg rein, weil der Türschließer einen harten Widerstand bietet. Draußen an der Bar tönt noch Hans Albers, dann gehst Du auf diese weiße Wand zu und machst die Tür an dem kleinen Knauf auf. Einer hat den Knauf immer noch festgehalten, als er schon längst hinter Tür verschwunden war, und man sah immer noch seine Hand an dem Knauf - und plötzlich zog er die dann zurück und war weg. „Auf Wiedersehen! Gute Reise!“ rufen wir immer. Es dauerte eine Weile, dann war er wieder an der Bar. Und der kam wirklich nochmal zurück, mit Freunden, weil er das so wunderbar fand. Nachdem er sich endlich getraut hatte, durchzugehen ... kam er am nächsten Tag mit Freunden zurück. Es kamen überhaupt viele Leute nochmal wieder. Meistens sagen sie nicht viel. Sie fragen auch nicht, woher das kommt, wieso ich das mache oder so. Das ist selbstverständlich für sie. Da fragt keiner: was hast Du Dir dabei gedacht, was wollte uns der Künstler damit sagen.

Man muß sich also nichts dabei denken.

B: Man muß nicht, nein. Es gibt zwar einen persönlichen Grund, aber der braucht keine Erklärung mehr. Deshalb bin ich so froh, daß ich diese Form gefunden hab‘.

Das ist alles ein bißchen verloren, dieses runtergekommene Gelände und dieser Bunker.

B: Das stimmt, man muß sich wirklich aufmachen wie zu einer Reise, und selbst das Wetter paßt im Moment: Hamburg ist ja auch grau-grün, salzig und dunkel.

Mußt Du die Räume auch saubermachen?

B: Ja, natürlich, jeden Tag fegen und nachher die Sicherungen rausschrauben. Da muß ich eine Leiter hochklettern und eine Leiter wieder runter - und da fällt man nach dem vielen Sekt leicht runter! Eine Ausstellung mit körperlichen Einsatz, sozusagen.

Noch eine Frage an die Bardame: Was war Dein schönstes Erlebnis? Oder Dein schrecklichstes?

Bardame Khani: Mein schrecklichstes war, als ich einmal eine Stunde zu spät kam und die einzigen Leute, die gekommen waren, schon weg waren. Dann konnten wir dichtmachen.

Und Dein schönstes?

Khani: Danach haben wir dann Sekt getrunken. Und ich hab‘ später von Orangensaft geträumt. Die Bardamen träumen immer von Orangensaft ... Ich bin dann zu Hause aufgewacht, nachts, und hab‘ Rhabarbersaft gefunden.

Muß man denn Sekt trinken?

Kahni: Das ist ganz komisch: Ich hab‘ mir mal vorgenommen, heute trinkst du keinen Sekt, aber dann steht die Flasche da, und es ist ja ein ständiger Abschied an der Bar, wenn die Leute losreisen ...

Trinken die Leute, wenn sie reingehen oder wenn sie rauskommen?

B: Wenn sie rauskommen: „Ich brauch‘ jetzt was zu trinken!“, sagen viele. Vorher sind sie ganz still, und wenn sie dann wiederkommen, schütteln sie ein wenig den Kopf oder nicken, und dann sagen sie: „Jetzt möchte ich gerne was trinken“.

Meinst Du, sie haben vorher Angst?

B: Ich weiß nicht, wenn ich mir vorstelle, ich würde vor dieser weißen Wand stehen, und da ist eine Tür, und ich weiß nicht, wo ich da hinkomme und dann gehe ich immer weiter, naja ... Das ist auch der Unterschied zu einer Geisterbahn oder diesen „Erlebnistunneln“ von Kunststudenten. Es ist nichts da, was Dich auf irgendwas hintreibt. Das Einzige, was ich mache, daß ich die Leute in eine Richtung schicke, aber sie erleben da nicht irgendwas Besonderes, Fühlübungen oder Gummiwände oder sowas. Es ist eher so, wie in einem Haus, wenn man den Lichtschalter nicht findet. Es ist vielleicht ein Stück über die Erinnerung: Woran will man sich erinnern, wenn man reist, wenn man irgendwas erlebt.

Was sagen eigentlich so Kunst-„Kritiker“ dazu?

B: Die ganze Saubande war noch nicht da.

Interview: Torsten Alisch

Ab Dienstag bis zum 23.10. immer von 16 - 20 Uhr unter dem Görlitzer Bahnhof. Der Eingang von der Görlitzer Straße ist gegenüber den Cafes „Mir“ und „Bargelb“. Am Samstag, 22.10., ist eine Abschlußveranstaltung von 12 bis 20 Uhr.

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