: DIE ALTEN HERREN DER NEUEN MUSIK
■ Geheimtip György Kurtag
Berlin heißt ja jetzt Ort des Neuen. Die Festwochen veranstalten also eine Reihe mit „Komponistenportraits“ im Kammermusiksaal - 8 mal 3 Konzerte jeweils am Wochenend.
Er fällt aus der Reihe. Ist zwar auch nicht mehr der Jüngste und jottwede in Ungarn längst der Nestor Neuer Musik. Hierzulande ist sein Name geläufig, aber die Werke kennt man eigentlich nur in Witten an der Ruhr. György Kurtag, der chronische Gehimtip: Wenn Portraitkonzerte zu etwas nütze sein sollen, dann müssen sie so sein wie diese.
Kurtag verkordelt sich zwischen Klavier und Mikro und erklärt die ersten sieben Takte aus seinem Streichquartett opus 1: Terz, Sekund, Quinte, Septim, Tritonus. „Klingt nicht sehr anziehend“, sagt er, „das ist schon das Ganze. Das andere ist vielleicht nicht mehr so wichtig.“ Der erste Satz hat sowieso nur fünfzehn Takte. Das ganze Stück aus sechs Sätzen ist, als die Ardittis es dann am Nachmittag spielen, zu schnell vorbei und man möchte es am liebsten gleich noch einmal hören. Anziehend, das ist ein viel zu blasses Wort; in Bann geschlagen von der Sprödigkeit einer Musik, in der jeder Ton einer zwingenden Logik folgt und die dadurch gerade äußerster Ausdruck wird.
Kurtags Größe ist die Privatheit der kleinen Form (kann sein, es ist die einzig noch mögliche). Er hat nicht viel komponiert, mit 33 Jahren erst sein opus 1 in die Welt gesetzt und dann nur kurze Sachen für Kammerbesetzung. Seine Musik ist alles andere als marktgängig. Jatekok zum Beispiel sind Klavier-Spielereien für Kinder - ein neuer Mikrokosmos, der gleich alle zehn Finger und möglichen Klänge für voll nimmt. Seine Lieder sind Fragmente, Aphorismen, Gedichtfetzen und Tagebuchnotizen, zusammengebunden zu Zyklen: lakonisch kühl und mit glühendem espressivo - witzig, pittoresk und mit strengem Lehrstück -Pathos.
In den Kafka-Fragmenten führt der Sopran den Dialog mit der Violine, die ja von allen Instumenten der Menschenstimme am ähnlichsten ist: „Nichts dergleichen“, bei leeren Saiten und schlimmen Schreien - wer will das schon so genau wissen. die folgende Uraufführung aber muß vom Ensemble Modern gleich noch einmal wiederholt werden: Quasi una fantasia heißt das Stück, weil es wie eine Beethovensche Sonate (der man später den Namen „Mondschein“ gab) die Opuszahl 27 trägt und eine fixe Idee hat wie die Berliozsche Symphonie fantastique“ - zu allem Überfluß ein Quasi-Klavierkonzert ist, mit allem, was dazu gehört. Die Form, knapp, und ihre Auflösung inbegriffen.
Kurtag komponiert Opus-Musik. Das geht, weil er, der toten Tradition eingedenk, immer noch etwas zu sagen hat. Fast sämtlich sind seine Stücke irgendwem gewidmet, Freunden, Schülern, Zeitgenossen, Denkmälern. In memoriam, Hommage a ... Fragmente eben. Erinnerungen, authentisch.
Elisabeth Eleonore Bauer
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