: Kölner Messe: Allzweckrad als Einstiegsdroge
■ Zweiräder weiterhin Freizeitgeräte / Mehr Geld für Qualität und Sicherheit / „Goldenes Rad“ oder „Rostige Speiche“ Internationale Zweiradausstellung
Rund drei Millionen Autobesitzer lassen ihre neuen Gefährte pro jahr in der Bundesrepublik zu. Die Gemeinde der Pedalkraft bringt's auf mehr: Etwa 3,6 Millionen Fahrräder kaufen die Deutschen per anno. Wenn auch hier kein Zuwachs zu verzeichnen ist, so wird doch allemal mehr Geld ausgegeben. Im Fachhandel zahlen die KäuferInnen durchschnittlich 520Mark für ein neues Fahrrad, wie eine Händler-Befragung ergab. Das sind 60 Mark mehr als vor zwei Jahren. Gleichzeitig kauften sie weniger aus dem Standardprogramm der Verbrauchermärkte und mehr beim Fachhandel.
Bei den motorisierten Zweirädern steigt der Absatz mit der PS-Zahl. Während schwere Maschinen gut im Geschäft liegen, werden Leichtkrafträder immer weniger gekauft.
Entsprechend sah es mit Neuerungen auf der diesjährigen Internationalen Fahrrad- und Motorradmesse in Köln aus: Leichte Fahrräder und schwere Motorräder sowie viel Zubehör für Sicherheit und Bequemlichkeit. Fast 1.500 Aussteller aus 36 Ländern stellten vor, was Händler ihren Kunden im nächsten Jahr verkaufen sollen. Die bundesdeutsche Produktion liefert vorwiegend die preiswerteren Tretmobile der unteren und mittleren Preisklasse.
Die edleren Rennsporträder liefern Frankreich, Italien und Großbritannien, und die Mountainbikes, die im letzten Jahr 15Prozent des Umsatzes ausmachten, werden in Übersee eingekauft: Die USA und Japan bedienen hier den bundesdeutschen Markt. Zwischen den verschiedenen Kategorien liegen freilich Welten: Während ein normales Mountainbike durchaus 1.000 Mark kosten kann, werden Billigfahrräder aus Osteuropa im Schnitt zu 82 Mark importiert und kommen mit Aufschlag in den Handel.
Daher bedeutet die Verschärfung der Deutschen Industrienorm (DIN) 79100, die unter anderem strengere Sicherheitsvorschriften für Bremsen und Beleuchtung erläßt, nicht nur mehr Sicherheit für die Käufer. Die deutschen Hersteller hoffen, damit auch besser gegen Billigimporte konkurrieren zu können. Gegen den Rückgang ihrer Exporte durch Konkurrenz aus asiatischen Ländern hilft die Norm jedoch nicht.
Trend zum Zweitrad
erwünscht
Als „Einstiegsdroge“ für die Radelsucht kürte der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) ein Allzweckrad von Hercules zum Fahrrad des Jahres. Für den fortgeschrittenen Gebrauch empfehlen die Fahrrad-Lobbyisten, sich je nach Bedarf ein Straßen-, Reise-, Sport- oder Geländerad zuzulegen, da nicht jedes Rad für jeden Zweck gleichgut geeignet ist. Dieser fachliche Rat dürfte Musik in den Ohren der Industrie sein, die gern den Trend zum Zweitrad herbeireden möchte.
Um den Gebrauch des Fahrrades auch als Alltagsverkehrsmittel zu fördern, hat der ADFC zusammen mit einer Zeitschrift eine Umfrage über das Fahrradklima in deutschen Städten durchgeführt. Erlangen erhielt das „Goldene Rad“ für vorbildliche Fahrbedingungen, während die „Rostige Speiche“, verbunden mit einem Verkehrsplanungsseminar zur Nachschulung, an Saarbrükken fiel.
Das Motorrad ist in der Bundesrepublik ein reines Freizeit und Hobbyfahrzeug, wie Marktuntersuchungen der großen Hersteller zeigen. Die japanischen Firmen Honda, Yamaha, Kawasaki und Suzuki haben den deutschen Markt fest in der Hand. Rund 87.000 Neuzulassungen gab es 1987, das sind zwar erheblich weniger als die 1981 im Höhepunkt des Motorradbooms gemeldeten 138.000, doch die Industrie meint jetzt eine Stabilisierung der Verkaufszahlen zu erkennen.
Dabei geht der Trend zu immer schwereren Supersporträdern, die ja auf deutschen Autobahnen auch „ausgefahren“ werden können, wie Klaus Massek vom Verband der Fahrrad- und Motorradindustrie (VFM) zur Eröffnung der Messe feststellte. BMW kommt in diese Klasse mit der 100-PS-Maschine K1 im nächsten Jahr auf den Markt, die eine Spitzengeschwindigkeit von 230 km/h fährt.
Das andere Ende vom Markt dünnt dagegen eher aus. Unter 50ccm fahren immer weniger Krafträder auf den Straßen. Daß der Verkauf seit 1980 um mehr als die Hälfte auf rund eine Million zurückging und weiter sinkt, führt die Industrie auf verschärfte Gesetzesvorschriften - von Helmpflicht für Mofas bis zu Führerscheinanforderungen - und hohe Versicherungsprämien zurück. Auch das Fahrrad mit Hilfsmotor, der nur 20 km/h bringt und dauerwellenfreundlich ohne Helm eingeschaltet werden darf, findet keinen reißenden Absatz bei den über 45jährigen, für die es gedacht ist.
Die Motor- und Fahrradindustrie sieht ihre Klientel hierzulande in einem wahren Zweirad-Paradies: „Die Bundesrepublik ist ein ideales Zweirad-Land. Die Straßen und Wege sind gut, die Landschaft sehr abwechslungsreich und das Klima mild und angenehm.“ Zum Glück für die Zubehör- und Bekleidungshersteller scheint die Kundschaft diese Einschätzung von Klaus Massek nicht zu teilen. Sonst wäre das umfangreiche Angebot an Regen- und Kälteschutzartikeln wohl überflüssig. Mit schrill-bunten Hemden (wasserdicht und atmungsaktiv), warmen Unterhosen mit Ledereinsatz, elektronisch beheizten Motorradhandschuhen und ähnlich spezialisiertem Outfit soll dem gelegentlich auch feucht -kalten Klima ein Schnippchen geschlagen werden. Im Kabinenmotorrad Ecomobile dürften nur wenige warm, trocken und komfortabel auf zwei Rädern vorwärtskommen, denn das Schweizer Luxusei mit Glasfaserumhüllung kostet immerhin fast 50.000 Franken.
Was die Sicherheit angeht, sollen verbesserte Bremsen sowie Standlichtanlagen auch fürs Fahrrad in Zukunft besseren Schutz bieten.
Aber auch jene, die hilfreiche Lösungen für die Probleme des Zweirad-Alltags anbieten, sind stets auf der Messe vertreten. Plattenhilfe bieten verschiedene Mittel, die über das Ventil in die Schläuche von Fahrrad-, Motorrad- und Autoreifen gesprüht werden könne. Ein spanischer Hersteller verspricht sogar, daß sich sein Produkt wie eine flexible zweite Haut auf die Innenseite des Schlauches legt und so dauerhaft vor zukünftigen Platten schützt. Niemals platt wird ein neuer Fahrradreifen aus Kanada, der aus einem schwammartigen Kunststoff besteht. Na dann - Adieu Luftpumpe, adieu Flickzeug!
Dita Vogel
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