: Nachrichten von Süd nach Süd
ASIVISION - das erste regionale Netzwerk für Fernsehnachrichten in der Dritten Welt arbeitet seit vier Jahren gegen den TV-Kolonialismus des Nordens Von Iran bis Indonesien / Kosten für Satellitenübertragung und Macht der einheimischen Zensoren als größtes Hindernis ■ Von Marina Schmidt
Vor vier Jahren begannen unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit dreizehn asiatische Fernsehanstalten mit dem täglichen Austausch von Nachrichtenfilmen. Im September trafen sich in Kuala Lumpur die Nachrichtenkoordinatoren aller beteiligten Fernsehanstalten gemeinsam mit Vertretern der Eurovision, um einen Probelauf eines neuen Satellitenübertragungsverfahrens auszuwerten.
Es ist 8.30 GMT und die Atmosphäre in der kleinen Kammer hinter der Nachrichtenredaktion des malaysischen Fernsehens ist gespannt. Der Nachrichtenkoordinator Humayun Choudry zündet sich eine Zigarette an und rückt die Lautsprecherbox und das Mikrophon an Ort und Stelle. „Salam Aleikum an alle Stationen, hier ist das Koordinationszentrum der Zone B ... RTB Brunei, ist jemand zu Hause?“ „Hier ist RTB, Salam Aleikum.“ „Aleikum Salam, was können Sie heute anbieten?“ „Wir haben das Endspiel vom ASEAN-Schüler-Fußballturnier.“ „Gut, danke. BTV Bangladesh, habt ihr neue Bilder über die Flutkatastrophe?“ „Guten Morgen, hier ist Dakka, ja können wir liefern.“ „Okay, nun rufe ich PTV-Islamabad, habt ihr einen Bericht über das Straßenbahnunglück, wie hoch ist die Zahl der Toten?“ „Ja, können wir anbieten; dreißig Menschen starben.“
Humayun Choudry koordiniert den zweimal täglich stattfindenden Nachrichtenfilmaustausch zwischen nun vierzehn asiatischen Fernsehanstalten. Über eine Vierdrahtschaltung von Islamabad bis Jakarta und von Delhi bis Brunei leitet Choudry die Audiokonfernez, um herauszufinden, was die anderen Nachrichtenredaktionen tun und welche Beiträge für den Austausch zur Verfügung stehen. Am anderen Ende der Leitung sitzen die Nachrichtenkoordinatoren aus Bangladesh, Indien, Pakistan, Brunei, Sri Lanka, Indonesien, zeitweilig Australien und Nepal an ihren Lautsprecherboxen und geben reihum die Inhaltsangaben ihrer Beiträge durch.
Zur gleichen Zeit findet ein ähnlicher Koordinationsprozeß in der riesigen Auslandsnachrichtenredaktion von „Nippon Hoso Kyokai“ (NHK) in Tokio, dem Koordinationszentrum der Zone A statt. Hier scheinen die Beiträge aus China, Japan, Iran und von den beiden südkoreanischen Fernsehanstalten keine Koexistenzprobleme zu haben. Die Mitglieder dieser Zone kommunizieren per Telex, bevor sie ihre Beiträge nacheinander über Satellit nach Tokio überspielen. In Kuala Lumpur und Tokio werden die täglichen Zonenpakete, bestehend aus den eigenen Beiträgen, Eurovisions- und Intervisionseinspeisungen sowie ausgesuchten Beiträgen der anderen Zone, zusammengestellt und via Satellit an die einzelnen Mitglieder übermittelt.
Die Eurovision, hierzulande am ehesten durch Quizsendungen wie „Einer wird gewinnen“ bekannt, verfügt über ein exklusives Übertragungsnetz. Viermal täglich tauschen über dreißig Fernsehanstalten aus Westeuropa, Nordamerika und anderen Staaten die aktuellsten Nachrichtenfilme aus. Über ein ähnliches Netz sind auch die sozialistischen Staaten miteinander verbunden: die Intervision. Ungeachtet aller politischen Differenzen begannen Eurovision und Intervision bereits in den sechziger Jahren mit einem gegenseitigen Austausch ihrer Nachrichtenfilme, so daß die europäischen Fernsehanstalten mehr und mehr in der Lage waren, die Nachrichten ihres Kontinents selbst zu decken. Ganz anders ist die Situation der Fernsehanstalten in der Dritten Welt.
Kaum ein Sender verfügt über ein eigenes dichtes Korrespondentennetz oder ist über Erdkabel mit seinen Nachbarn verbunden. Visuelles Nachrichtenmaterial über aktuelle Ereignisse, selbst aus der eigenen Region, kommt fast ausschließlich von den kommerziellen Nachrichtenfilmagenturen. Bilder aus dem Nachbarland müssen den Umweg von über 10.000 km über New York oder London machen, wo sie redaktionell bearbeitet werden und per Luftfracht zum Teil in Pappkartons oder Zwiebelsäcken zurückgesandt werden. Häufig kommen sie erst 24 Stunden später wieder im Süden an, von westlichen Redakteuren aus westlicher Sicht bearbeitet. Als eine Antwort auf diese Unausgewogenheit im internationalen Nachrichtenfluß wurde Asivision konzipiert. Warum Verspätungen und Umwege in Kauf nehmen und nicht lieber die Beiträge selbst vom Nachbarn beziehen? Neben dieser Etablierung eines bisher noch einmaligen Süd-Süd-Dialoges will Asivision auch die Möglichkeiten, asiatische Nachrichten aus eigener Sicht in den internationalen Nachrichtenfluß einzubringen, erhöhen und der vielbeklagten Verzerrung des Bildes der Dritten Welt entgegenwirken.
Wie sieht nun die vorläufige Bilanz nach viereinhalb Jahren praktiziertem Austausch aus? Ernüchternd.
„Hard news“ und „Soft news“
Seit die Mitglieder von Asivision im Januar 1984 mit ihrem Austausch begannen, zeichnet sich immer deutlicher der Trend nach mehr „Hard news“ ab. Das Verlangen nach Katastrophen, Gewalt und Unruhe der asiatischen Journalisten scheint nicht geringer zu sein, als das der „neokolonialistischen“ Nachrichtenredakteure im Westen. Da aber fast alle beteiligten Fernsehanstalten regierungseigene Sender sind und Regierungsinteressen und Errungenschaften präsentieren sollen, ist kaum eine Anstalt bereit, Bilder über Oppositionsgruppen, Konflikte und Probleme im Land herauszugeben. „Warum sollen wir die immensen Satellitenübertragungsgebühren für Asivision bezahlen, wenn wir hauptsächlich „Soft news“ und Entwicklungsnachrichten bekommen und dadurch weiterhin von den kommerziellen Nachrichtenfilmagenturen abhängig bleiben?“, meinten Herr Kim und Herr Yoon aus Südkorea. Aber gerade Südkorea hat sich in den letzten Jahren als ein Land mit den härtesten Zensurbestimmungen erwiesen. Filmberichte über die landesweiten Streiks, Stundentenunruhen und Straßenschlachten hielten die beiden südkoreanischen Anstalten in den letzten Jahren streng unter Verschluß. Erst seit diesem Jahr scheint sich die Situation zumindest graduell verbessert zu haben.
Neben diesen Kritikpunkten konnte jedoch in Kuala Lumpur auch eine beachtliche Erfolgsbilanz gezogen werden: Der Druck von vierzehn Fernsehstationen, Bilder über politische Konflikte zu fordern, hat in den vergangen Jahren gar manches Informationsministerium (oder Zensurbehörde) in die Knie gezwungen. Bangladesh ließ sich letztes Jahr dazu breitschlagen, Bilder über die landesweiten Unruhen an Asivision zu übermitteln, im eigenen Land dagegen wurde die Nachrichtensperre strikt eingehalten. Pakistan stellte innerhalb weniger Stunden Bilder über die Explosion eines Munitionsdepots, die auf einen Sabotageakt zurückgeführt wurde, zur Verfügung. Selbst Bilder über den Flugzeugabsturz, bei dem der pakistanische Präsident Zia-ul -Haq ums Leben kam, wurden vom pakistanischen Fernsehen sofort in alle Welt übertragen. Dies war zu Beginn des Austausches keinesfalls selbstverständlich. „Wir müssen unseren Informationsministerien immer wieder klar machen, daß die Bilder über negative Ereignisse durch die kommerziellen Nachrichtenfilmagenturen sowieso aus dem Land gelangen. Es ist in jedem Fall besser, wenn wir dann unsere Bilder auch aus unserer Sicht liefern, sonst können wir der Verzerrung und dem Übergewicht westlicher Nachrichten nie entgegenwirken“, meint Humyun Choudry.
Die anwesenden Vertreter der Eurovision beurteilten die Entwicklung von Asivision als erstaunlich positiv. „Asivision hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem vollwertigen Partner im Fernsehnachrichtenaustausch entwickelt“, sagt Horst Jancik, Nachrichtenkoordinator bei der Eurovision. „Die morgendliche Audiokonferenz mit Kuala Lumpur ist zu einem wichtigen Bestandteil unseres täglichen Austausches geworden. Wir beziehen jetzt schon fast genausoviele Beiträge aus Asien wie von der Intervision. Aber Nachrichten sind eine Währung, deren Wert täglich steigt. In den letzten Jahren hat sich die Konkurrenz im Nachrichtensektor durch neue private Anbieter verstärkt. Der Nachrichtenwert steht und fällt mit der Übertagungsgeschwindigkeit. Deshalb müssen wir Rundfunkunionen über die schnellsten und besten Übertragungssysteme verfügen. Für die Zukunft von Asivision ist der Ausbau der technischen Infrastruktur unerläßlich.“
Gerade hier liegt ein anderes zentrales Problem: die horrenden Satellitenübertragungsgebühren, die alle Beteiligten für die Überspielung der Beiträge zu zahlen haben, drohen das Budget einiger Anstalten zu sprengen. Für Länder wie Japan, Brunei oder Südkorea ist dies kein existentielles Problem. Anders ist die Lage dagegen in Sri Lanka, Bangladesh oder China, das gerade durch eine hohe Inflationsrate mit einer Kostenexplosion zu kämpfen hat. TV -Nepal kann sich wegen seiner kritischen Finanzlage nur unregelmäßig am Austausch beteiligen. Iran, durch den Golfkrieg schwer gebeutelt, hat nach einem irakischen Luftangriff seine Satellitenbodenstation verloren und muß deswegen über Tokio am Austausch der ostasiatischen Zone A teilnehmen. „Wir müssen erst eine neue Ölquelle finden, bevor wir die Bodenstation wieder instandsetzen können“, lautet der Kommentar von Ali Vanaki aus Teheran.
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