piwik no script img

Brief von Uwe Barschel an Gerhard Stoltenberg (3.10.87)

Sehr geehrter Herr Stoltenberg!

Die Ereignisse der letzten Tage, insbesondere das Gespräch, das wir am Montag miteinander führten und das mit Generalsekretär Reichhardt am Donnerstag, machen es mir unmöglich, diesen Brief in der zwischen uns gewohnten Weise zu schreiben. Deprimiert hat mich die Tatsache, daß mein Parteivorsitzender in verschiedensten Gesprächen mit Herrn Kribben gegen mich eine gezielte Vorverurteilung bis zu der Frage betrieb, ob Herr Kribben bereit sei, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen, statt mir Gelegenheit zur Rechtfertigung und glimpflichen Lösung der Angelegenheit zu geben. Zutiefst aber bin ich verletzt, wie gerade Sie mich in den Abgrund fallen lassen wollen, statt mir in gebührender Weise zu helfen, diese Geschichte einigermaßen anständig zu beenden.

Sie haben bei unserem letzten Gespräch sehr wohl erkannt, daß ich bereit bin, alle Konsequenzen auf mich zu nehmen, ganz gleichgültig, welchen Weg man in der Partei für den geeigneten hält. Ich habe Ihnen auch zu verstehen gegeben, daß ich im Rahmen meines Amtes lediglich das umgesetzt habe, was im vorigen Herbst auf Ihre Vorgaben hin von Herrn Reichardt formuliert und vom Landesvorstand abgesegnet wurde. Insoweit stand ich gegenüber unserer Partei im Wort. Nichts anderes habe ich getan, als mich an diese Linie zu halten, wobei ich immer Ihre Überlegungen beachtete, wir müßten aus bundes- und landespolitischen Gründen um jeden Preis eine Machtübernahme durch die SPD oder ein Rot-Grün -Bündnis in Schleswig-Holstein verhindern. Sie formulierten dieses Ziel auch als persönlichen Auftrag für mich. Aus ihm gewann ich die Kraft, auch unübliche Methoden anzuwenden, um die durch die Bonner Versäumnisse zu erwartenden Rückschläge bei der Landtagswahl zu begrenzen. Dabei war ich mir sehr wohl der persönlichen Risiken bewußt, aber zugleich fest davon überzeugt, daß mich unsere Partei - und insbesondere Sie - nicht hängen lassen würden.

Mit Erschrecken stelle ich nun fest, daß um mich erum zu dieser Stunde alle bemüht sind, für sich eine weiße Weste hervorzuzaubern. Sie soll dadurch um so sauberer erscheinen, je mehr ich durch die eigene Partei und den Gefälligkeits -Journalismus demontiert werde. Es ist jedoch schlicht und einfach eine unleugbare Tatsache, daß Steueranzeige und Detektiveinsatz gegen Herrn Engholm bereits im Frühjahr Gesprächsgegenstand am Tisch des Landesvorstandes waren. Kein Wort der Mißbilligung erhob sich, die Zustimmung war allgemein und ausnahmslos auch bei Ihnen, Herr Stoltenberg.

Dasselbe gilt auch für die mündliche Information, die Ihnen Staatssekretär Knack seinerzeit über unglücklich gehandhabte Anfragen nach optimal verwertbaren Erkenntnissen über Landtagskandidaten der Grünen und der Unabhängigen Wählergemeinschaft zukommen ließ. Sie selbst wissen, worauf allein sich Ihre Kritik an dieser Anfrage richtete. Als ich angesichts ihrer zögerlichen Haltung in einer Art Notwehrhandlung meine Ehrenworterklärung abgab, um noch Zeit für ein gemeinsames Handeln zu finden, beteuerten Sie und andere Parteifreunde fast ehrenwörtlich, doch durchaus unwahr, von allem erst am Wahltag oder danach gehört zu haben. Wenn notwendig, werde ich Herrn Staatssekretär Knack vor den gestern eingesetzten Untersuchungsausschuß laden lassen. Ich bin sicher, daß er nicht zögern wird, sein Wissen offenzulegen.

Das Verständnis, das mir in weiten Kreisen des Landesverbandes in der für mich schweren Zeit - bis zum heutigen Tag - entgegengebracht wurde und wird, zeigt mir, daß meine ehrliche und uneigennützige Absicht und die Notwendigkeit meines Tuns sehr wohl verstanden und gebilligt werden. Das Ringen der Fraktion darum, den Untersuchungsausschuß nicht durch eine zu enge Firmierung zur Vorverurteilung für mich geraten zu lassen, betrachte ich als meinen moralischen Sieg über die Widersacher in der eigenen Partei. Im übrigen war ich mir immer bewußt, daß der Schleier, den wir über die Geschehnisse gebreitet hatten, nur sehr dünn und wenig haltbar war. Schnelles Handeln des engeren Landesvorstandes, der Entscheidungsträger, wäre notwendig gewesen, um die Akzeptanz unserer Mitglieder und Wähler für unsere Landespolitik auch in dieser Zeit der Fährnisse - und über sie hinaus - zu erhalten.

Tatsächlich aber erwiesen sich die Spitzenpolitiker des Landesverbandes als handlungsunfähig. Weder das Wohl der CDU noch die Wahrung der Kontinuität unserer Politik standen im Vordergrund. Es ging allein um Machterhalt schlechthin, selbst um den Preis des Verlustes unserer Glaubwürdigkeit vor dem Wahlvolk. Hinzu gesellte sich das Eifern einiger, aus der entstandenen Situation etwas für sich herauszuschlagen.

Aus diesem Zustand der führenden Köpfe unseres Landesverbandes heraus nimmt es mich nicht wunder, daß auch Sie die von mir so deutlich offerierte Möglichkeit, den geschürzten Knoten weder aufknoten noch durchschlagen zu müssen, nicht aufgriffen.

Die Ihnen von mir mitgeteilte Absicht, Anfang der kommenden Woche für einige Zeit Urlaub machen zu wollen, drückte damals wie heute meine uneingeschränkte Bereitschaft aus, gegebenenfalls im Ausland zu bleiben. Das würde uns beiden und der Partei aller Peinlichkeit entheben. Ich würde in diesem Fall mein Mandat niederlegen, aus der CDU austreten, nicht vor dem Untersuchungsausschuß aussagen und damit unerschrocken engagiert, allerdings nie eingestandenermaßen, alle Schuld auf mich nehmen. Eine Schuld allerdings, und das möchte ich noch einmal allen Ernstes betonen, die im Sinne wahrer Gerechtigkeit eben nur Mitschuld neben der anderer ist.

Auch jetzt bin ich noch durchaus bereit, auf einem solchen Kompromiß - aber eben nur auf einem solchen - die Alleinschuld auf mich zu laden. Voraussetzung ist allerdings, daß meine während unseres letzten Gespräches geäußerte Erwartung nach Existenzsicherung erfolgt ist. So also, wie das in Fällen vorher stets geschah! Warum eigentlich nicht in meinem Falle, wo doch interessierte Helfer zur Verfügung stehen müßten. Was hindert Sie selbst, Ihren Anteil an den Verstrickungen dadurch honorig aus der Welt zu schaffen? Sehen Sie nicht die Gefahren, die auch Ihnen durch Ihre Verantwortlichkeit als Landesvorsitzender unweigerlich erwachsen können?

Ich möchte Sie als Mensch zu Mensch auffordern, in dieser Situation auch an meine Familie zu denken. Bitte finden Sie einen Ausweg, der allen Bedürfnissen Rechnung trägt und niemandem schadet. Herr Staatssekretär Hebbeln ist informiert, wo und wie ich während des Auslandsaufenthaltes zu erreichen bin. Bis Ende kommender Woche besteht noch die Möglichkeit, maßgebliche Akzente zu setzen.

In Erinnerung gemeinsamer Verbundenheit und weltanschaulicher Prinzipien sowie in der Hoffnung, nicht vergebens an Ihre Verantwortung, Ihre Vernunft und auch an Ihr Herz appelliert zu haben, verbleibe ich alsIhr Uwe Barschel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen