: „Villon ist kein Held“
Gespräch mit dem Villon-Darsteller Alfons Kujat (34) ■ I N T E R V I E W
taz: Für viele aus Deinem Publikum ist Villon ein Held, ein Revolutionär, der Sätze herausbrüllt wie „Armut pfeift auf Gesetzlichkeit“. Wie siehst Du das?
Alfons Kujat: Für mich ist Villon kein Held. Für mich ist das einer, der Schmerz, Verzweiflung in zynischer Form zum Ausdruck bringt - mit der Genugtuung, daß im Tod alle gleich sind. Trotz alledem versucht er sein Leben zu leben. Die Gefahr, daß Leute das mißverstehen, ist natürlich gegeben. Villon kämpft nur für sich, leistet den Widerstand nur, um persönlich überleben zu können. Er ist keine linke, politische Führungsgestalt. Seine Freiheit ist der Tod. Für Villon gibt es Gerechtigkeit weder im Diesseits noch im Jenseits.
Das Mittelalter hat Konjunktur. Bücher wie „Der Name der Rose“ oder „Das Parfüm“ sind Bestseller. Alles nur ein Trend, oder steckt mehr dahinter?
Ich glaube, das es eine Parallele zur jetzigen Zeit gibt. Für die Menschen im Mittelalter war der Tod eine ständige Bedrohung, gehörte zum Alltag. Villon hat wahrscheinlich hunderte von Menschen sterben sehen - an Pest, Cholera, Syphilis - in Kriegen, Wirtshausschlägereien, in Folterkammern oder Gefängnissen. Und jetzt guck Dir an , was heute passiert: Die Natur wird in 20 bis 30 Jahren zerstört sein. Es gibt moderne Seuchen: wie Krebs, Aids, Millionen Menschen verrecken an Hunger, und, und, und ... Im Zeitalter Villons hatten Ablaßprediger, Sekten und Wunderheiler wegen der allgegenwärtigen Angst natürlich Hochkonjunktur. Heute ist das ähnlich. Sekten schießen wie Pilze aus dem Boden, die Leute suchen ihr Seelenheil bei Gruppentherapie auf Lanzarote oder hocken sich vor den Fernsehaltar.
Du bindest die Zuschauer direkt in dein Spiel ein, beleidigst sie zum Teil, machst Ihnen Komplimente. Können die eigentlich noch unterscheiden, wer Villon und wer Kujat ist - und kannst Du das selber noch?
Ich kann das sehr wohl. Um in die Figur hineinzukommen, brauch ich einen bestimmten Weg, ich muß hineinschlüpfen. Ich bin nicht Villon. Nach den Vorstellungen setz‘ ich mich meistens noch mit den Leuten hin, die sind dann oft ganz erstaunt, das ich anders bin. Ich hab natürlich einen bestimmten Draht zu der Figur: Das, was man ein proletarisches Elternhaus nennt, Jugendknast, Bundeswehrknast, das Gefühl, Außenseiter zu sein. Aber die Konsequenzen, die ich daraus ziehe, sind ganz andere als die, die Villon gezogen hat. Ich suche meine Freiheit im Hier und Jetzt - auch in der Theaterarbeit - und nicht in der „Gerechtigkeit“ des Todes.
Interiew: C.C. Mahlzahn
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