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Dr. Stankowski und Mr. Villon

■ Von Plagiatoren, Rezipienten und Interpreten

Bertolt Brecht entschuldigte den handfesten Theaterskandal mit seiner „grundsätzlichen Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“. Zur Uraufführung der „Dreigroschenoper“ im Jahre 1929 hatte der berühmt-berüchtigte Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr jedenfalls dem Autor Brecht nachgewiesen, sich in seinen Liedern an mehreren Stellen aus dem Textrepertoire des Francois Villon bedient zu haben - freilich ohne sein Publikum über den Versklau aufzuklären.

Ein Gutes aber hatte der Vorfall: Villon wurde zum ersten Mal einem größeren Publikum in Deutschland bekannt gemacht,

-wenn auch unter wenig charmanten Umständen.

Bert Brecht blieb nicht der einzige deutsche Künstler, der sich der kraftvollen Verse des mittelalterlichen Dichters und Draufgängers annahm. Wolf Biermann sang auf seiner „Chausseestraßen„-Platte die „Ballade von Francios Villon“.

Klaus Kinski, immer bemüht, seinen Ruf als Enfant terrible aufrechtzuerhalten, röchelte in den siebziger Jahren geil ins Mikrofon: „Ich bin so wild auf Deinen roten Erdbeermund!“ und ließ den Balzspruch nebst anderen Villonschen Versen auf Schallplatte verkaufen. Ernst Stankowski, in den siebziger Jahren mit seiner Bildungsbürgersendung „Erkennen Sie die Melodie?“ der Schwarm aller Schwiegermütter, Akademikerwitwen und Nachwuchsopernsängern verpaßte sich mit seinen Auftritten als Villon-Interpret ein regelrechtes zweites, diabolisches Gesicht.

Nach dem Motto „Seht her, ich bin ganz anders als im Fernsehen!“ zog er durch die Republik und las vor: „Ich habe jetzt ein Tier im Blut, das macht mir wieder frischen Mut!“

Der erste, der über eine Textinterpretation hinaus ging und die Figur Villons schauspielerisch zum Leben erweckte, war Thomas Koppelberg. Der aus dem Ruhrgebiet stammende Akteur spielt den Pariser Poeten heute noch: Als Säufer in Wirtshausatmosphäre, mitten im Publikum, ohne Bühne.

ccm

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