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Akademische Peep-Show

■ Betr.: "Eine Frau mit Eigenschaften", taz vom 17.10.88

betr.: „Eine Frau mit Eigenschaften“, taz vom 17.10.88

Wußte frau es nicht immer schon besser - Frauen können auch in männlich geprägter Atmosphäre Weiblichkeit bewahren. Wen wundert es, daß solche formvollendeten Damen mit Aktenköfferchen und „dunkle(m) Kostüm“ auch trotz Karriere am Bein und „hochhackiger Schuhe lautlos übers Parkett“ gehen können? Wie weit ist da noch der gedankliche Schritt zu der beliebten Entschuldigung, Frauen seien halt die besseren Menschen?

Es ist ja schön, daß taz-Autorin Maria Neef-Uthoff von der äußerlichen Erscheinung Ayla Neusels beeindruckt war. Aber muß sie mit diesen Notizen die raren Zeilen füllen? Gab es nichts wichtigeres für sie, als die Feststellung, daß Neusel „eine elegante schöne Dame“ ist? Werden bald Eleganz und Schönheit Kriterien für akademische Diskurse sein (zumindest hier würde sich dann eine Quotierung erübrigen...)? Ein neuer Ästhetizismus also?

Wen interessiert es, daß Ayla Neusel „sehr blaue Augen“ hat und charmant lächeln kann? Weshalb sollte sie es auch nicht können? Welches Bild von Akademikerinnen schwirrt in den Gedanken der Autorin herum? Warum beschreibt sie uns nicht auch noch die Unterwäsche (Seide oder Spitze?), wo sie doch auf Outfit soviel Wert legt? (...) Was soll diese akademische Peep-Show? Werden wir zukünftig auch Männer nach diesen Kriterien präsentiert bekommen? „Sein Bart glitt wie eine Daunendecke durch meine Hand...“

Die „Frau mit Eigenschaften“ wird hier doch im Grunde auch nur auf die eine reduziert: auf ihre Weiblichkeit. Aber wollen wir uns wirklich daran messen lassen? Ayla Neusel hat dies gewiß nicht nötig, und es ist beschämend, daß der Artikel so wenig inhaltlich argumentiert.

Eins, zwei, drei - ganz viele männliche Ayla Neusels. Denn die haben in den meisten Fällen diese „Eigenschaften“ noch dringend nötig.

Brigitte Nill, Berlin 30

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