: ZK-Denkzettel für Serbiens Nationalisten
■ Bei der Vertrauensabstimmung über Mitglieder des Zentralkomitees fiel nur ein Serbe durch / ZK-Sitzung im übrigen ohne klare Linie Neue Unruhen in der serbischen Bevölkerung / Serbische Studenten und Schüler in Kosovo setzen ihren Unterrichtsboykott fort
Belgrad (ap/dpa/taz) - Nach der in der Nacht zum Donnerstag praktisch ergebnislos zu Ende gegangenen Sitzung des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens ist am Donnerstag neue Unruhe unter der serbischen Bevölkerung aufgekommen.
In der mehrheitlich von Albanern bewohnten autonomen Provinz Kosovo, die zur serbischen Teilrepublik gehört, setzten Tausende von serbischen Schülern und Studenten ihren Unterrichtsboykott fort. In der Provinzhauptstadt Pristina machten Tausende von serbischen Demonstranten ihrem Unmut über den Ausgang der ZK-Sitzung Luft.
Die beiden Mitglieder des Politbüros Kacusa Jasari und Marko Orlandic mußten das Sportfeld in einem Vorort der Stadt unter Polizeischutz verlassen. „Diebe!“ und „Ihr habt das Volk betrogen!“ riefen die erbosten Serben den Funktionären entgegen. Mehrere Demonstranten führten Transparente mit dem Bild des serbischen Parteichefs Slobodan Milosevic bei sich. Sie riefen: „Kosovo ist serbisch!“ und „Ein starkes Serbien ist ein starkes Jugoslawien“.
Milosevic eilte am Donnerstag morgen zu den unzufriedenen Arbeitern in den Belgrader Industrievorort Rakovica. Offenbar wollte er seine Anhänger, die vor zwei Wochen mit der Forderung nach Lohnerhöhungen zu Tausenden ins Parlament gestürmt waren, beruhigen. Denn gerade Milosevic hatte ihnen im Hinblick auf die jetzt beendete ZK-Sitzung eine „Wende“ versprochen. Doch ist der zukünftige Wirtschaftskurs bei einer Inflation von 217 Prozent, 21 Milliarden Dollar Auslandsschulden und sinkender Produktion weiter unklar.
Die dreitägige ZK-Konferenz, von der sich viele eine historische Wende mit weitreichenden Konsequenzen versprochen hatten, setzte weder politisch noch wirtschaftlich neue Richtlinien. Das Wichtigste blieb somit eine Vertrauensabstimmung über zehn der insgesamt 23 Mitglieder des ZK-Präsidiums. Als einziger fiel der serbische Vertreter Dusan Ckrebic durch. Ein weiterer Vertrauter Milosevics schaffte mit 86 Stimmen nur knapp die erforderliche Mehrheit. Alle anderen wurden mit deutlicher Mehrheit in ihrem Amt bestätigt.
Der klare „Denkzettel“ für die serbischen Nationalisten könnte nun - so befürchten die Albaner in Kosovo und die Bewohner Sloweniens, wo die Liberalisierung am weitesten fortgeschritten ist - zu neuen Unruhen in der enttäuschten Bevölkerung der größten Teilrepublik führen. Seit Monaten hatten serbische Demonstranten - mit Unterstützung von Milosevic - Maßnahmen zum Schutz vor angeblichen Übergriffen der albanischen Mehrheit in Kosovo gefordert.
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