: Warten auf den Pillenknick
■ Wohnungen in Bremen knapp und teuer / Kaum noch Leerstände bei den Gesellschaften / Geburtenstarke Jahrgänge werden flügge / Gewoba und Senat setzen nur auf eins: das Eigenheim
Zumindest einmal in der Woche ist das schmucklose Anzeigenblatt „A bis Z“ die begehrteste Zeitung Bremens, nämlich kurz nach 19 Uhr am Mittwoch. Schon ehe die Zeitungspacken ausgeliefert werden, ist der Presse-Shop im Hauptbahnhof von einer dicken Menschentraube umlagert. Jede hat ihr Kleingeld abgezählt in der Hand. Wenn die Packen dann endlich in die Halle geschleppt werden, wird nicht mehr vom Tresen aus verkauft: Mitten in Laden gibts einen provisorischen „A bis Z„-Verkaufsstand. Wer ein Exemplar ergattert hat, liest im Gehen, noch besser: im Laufen. Denn an den Telefonzellen vorm Bahnhof lagert bereits die gleiche Menschentraube wie vorher am Kiosk. Wer gut zu Fuß ist, sprintet weiter zum Postamt 5, die Telefongroschen in der schwitzigen Hand. Gemeinsames Ziel der vielen Individuen: Beim Vermieter anzurufen, ehe die wenigen annoncierten Wohnungen vergeben sind.
Szenen wie diese waren noch vor Jahresfrist in Bremen ziemlich unbekannt. 1986 gar standen von den 45.000 Wohnungen der Neuen Heimat (heute Gewoba) in Bremen und Bremerhaven rund 600 leer. Heute sind es immer noch 220. Aber: Allein 170 der unbewohnten Wohnungen liegen in Bremerhaven. Weitere 30 in Osterholz-Tenever, der Hochhauswüste an der Autobahn, die
die BremerInnen meiden, wenn es eben geht. In den übrigen Bremer Stadtvierteln stehen zur Zeit nur 20 Wohnungen leer, also lediglich ein „Fluktuationsleer
stand“, wie das die Gesellschaft nennt.
Wohnungssuchende brauchen heute oft Monate, bis sie eine neue Bleibe finden. „Man muß eben et
was mehr tun, wenn man eine Wohnung haben will“, meint Reginald C. Meyer, der Vorsitzende des „Rings deutscher Makler“ in Bremen. Für ihn hat sich der „Markt normalisiert“. Die Mietpreise zögen auch langsam an, für das Jahr 1988 rechnet Meyer mit einer Mietsteigerung von fünf Prozent.
Steigende Mieten konstatiert auch der Mieterbund in Bremen. Besonders, wenn Verträge neu abgeschlossen würden, könnten die Vermieter angesichts des knappen Angebots kräftig draufschlagen, berichtet Mieterbund-Geschäftsführer Helmut Engelmann. Dadurch ginge das allgemeine Mietniveau allmählich in die Höhe: Auch Mieter, die langfristige Verträge haben, müßten damit rechnen, daß Hauswirte ihnen den Mietzins an's ortsüblichen Niveau anpassen.
Die Ursachen für die latente Wohnungsnot sind vielfältig. Klein, aber bemerkenswert: Wohngenmeinschaften sind nicht mehr voll im Trend. Dadurch werden mehr Ein-und Zweizimmerwohnungen nachgefragt. Zahlenmäßig bedeutender: Die geburtenstarken Jahrgänge 1963 bis 67 haben sich aus ihren Elterhäusern fortgemacht und drängeln sich nun auf dem Wohnungsmarkt. Der gestiegenen Nachfrage steht kein zusätzliches Angebot gegenüber. Denn der öffentlich geförderte Mietwoh
nungsbau kam am Anfang der 80er Jahre zum Erliegen. Leerstehende Wohnungen und hohe Kreditzinsen nahmen den Wohnungsbaugesellschaften und privaten Geldgebern jeden Mut. Die hohen Zinsen hatten das Bauen so teuer gemacht, daß die „Sozialmieten“ ins astronomische steigen mußten.
Obwohl heute die Zinsen niedrig und die Wohnungen rar sind, macht der Senat keine Anstalten, Neubauten öffentlich zu fördern. Wer sich jedoch ein Eigenheim baut, kann mit staatlicher Hilfe rechnen: Ein öffenlicher, auf 15 Jahre zinsloser Kredit soll dem verschuldeten Bauherrn über die Runden helfen.
Auch die Strategie der Gewoba setzt ausschließlich auf das eigene Häusle. Bei ihren letzten großen Projekten in Riensberg und im Weidedammviertel entstanden fast nur Eigenheime. Dennoch kämen diese Neubauten auch denen zu Gute, die sich kein Eigenheim leisten können, meint Walter Voigt von der Gewoba. Nämlich durch den „Sickereffekt“: „Familien, die in eigene Häuser ziehen, machen ja Sozialwohnungen frei“. Und in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wird das Schlimmste überstanden sein, kann der Gewoba-Sprecher uns trösten. Denn der Pillenknick, heute noch in den Schulen unterwegs, wird dann bei den Sozialwohungen angelangt sein.
mw
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