: London will Schweigerecht außer Kraft setzen
Die Regierung Thatcher benutzt den Nordirland-Konflikt zur Zerstörung des traditionellen britischen Rechtssystems / Das Recht eines Beschuldigten auf Aussageverweigerung wird eingeschränkt / Das Gesetz richtet sich vornehmlich gegen Angeklagte aus der IRA ■ Aus London Rolf Paasch
Der Abbau demokratischer Grundrechte in Großbritannien geht weiter. Nur einen Tag nach der Einschränkung der Meinungs und Pressefreiheit in bezug auf die Berichterstattung über Nordirland verfügte Innenminister Hurd am Donnerstag auch eine Einschränkung des seit 300 Jahren gültigen Rechts auf Aussageverweigerung. Wer in Zukunft beim Polizeiverhör und vor Gericht von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, kann davon ausgehen, daß dies von Richter und Jury in der Urteilsfindung gegen ihn verwandt wird. Die Regelung wird in Nordirland ab 1.Januar 1988 in Kraft treten, während sie in England und Wales einige Monate später eingeführt wird.
Die Beseitigung „eines der Eckpfeiler des britischen Rechtssystems“, so Oppositionsführer Kinnock, wurde ebenso wie das gestern verfügte Interviewverbot mit Mitgliedern nordirischer Untergrundorganisationen nicht über den üblichen demokratischen Gesetzgebungsprozeß, sondern per Verfügung durchgesetzt. Das Unterhaus darf anschließend über die Regierungsdekrete diskutieren.
Mit der Einschränkung des Aussageverweigerungsrechts hat die Regierung dem Druck der - vor allem - nordirischen Polizei nachgegeben, die Verdächtigte ihrer Meinung nach allzu oft wieder ziehen lassen mußte, weil die Beweismittel ohne deren Aussagen nicht zu einer Anklage ausreichten. Nicht zuletzt aufgrund der noch in den siebziger Jahren im nordirischen Verhörzentrum von Castlereagh praktizierten Folter hatte die IRA ihre Mitglieder unter dem Slogan „Whatever you say, say nothing“ zum Schweigen ausgebildet. In Fällen, wo es dennoch zu einer Anklage kam, durfte das Gericht aus dem Schweigen der Angeklagten für ihr Urteil keine Konsequenzen ziehen.
In den britischen Rundfunk- und Fernsehanstalten herrscht unterdessen große Verwirrung darüber, was nach dem gestrigen Interviewverbot mit Mitgliedern von nordirischen Untergrundorganisationen und deren „Sympathisanten“ noch gesendet werden darf. Nicht nur Mitglieder der katholisch -republikanischen Sinn Fein-Partei, sondern auch jeder, der ein politisches Argument dieses politischen Flügels der IRA unterstützt, so scheint es nun, wird von der Zensurregelung erfaßt. Während die britische Journalistengewerkschaft ihre Mitglieder am Donnerstag zu Streikaktionen aufforderte, empfahl der liberale Ex-Verfassungsrichter Lord Scarman den Fernsehanstalten, die Regierung vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. In Belfast planen die politischen Führer von Sinn Fein bereits Maßnahmen zum Umgehen des Interviewverbots.
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