Es flieht der Terrorist im Fischerboot

Internationale Polizeiübung „Schützende Hand“ beendet / Kooperation BRD, Österreich, Schweiz, Frankreich / Dornier-Attentäter fliehen über den Bodensee / Absurdes Täterverhalten führt zu theoretischem Polizeierfolg  ■  Von Didi Willier

Stuttgart (taz) - Es ist acht Uhr, zwischen den Hügeln Oberschwabens hängt noch nasser Nebel. Frisch gebrieft verläßt ein Dutzend Journalisten die buntgestylte Biberacher Kaserne der baden-württembergischen Bereitschaftspolizei. Die Rotorblätter zweier Puma-Helikopter des Bundesgrenzschutzes unterbinden jede weitere Kommunikation.

Weit unten suchen ein paar Schafe erschreckt das Weite, die Felder dämmern dem Winter entgegen, fast beabsichtigt sackt der Hubschrauber in ein Luftloch, wofür das Beil neben dem Feuerlöscher gut ist, steht nicht angeschrieben. Neben schnuckeligen Bauernhöfen und dem bißchen oberschwäbischer Kleinindustrie steht auch eine kleine Justizvollzugsanstalt in der ländlichen Abgeschiedenheit. Doch die grüne Idylle trügt!

An der internationalen Polizeiübung „Schützende Hand Sauvegarde '88“ beteiligen sich österreichische, Schweizer und französische Behörden, die Bundesanwaltschaft, der bayerische und baden-württembergische Polizeiapparat, 750 Männer des Bundesgrenzschutzes, 20 Helikopter und ein Schnellboot. Das BKA ist auch dabei. Halali.

Heute morgen, Schlag 4 Uhr 47 hat es gekracht, in Immenstaad am Bodensee. Bei einem Bombenanschlag auf ein Unternehmen der High-Tech-Branche sind einige Gebäude stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Täter sind flüchtig. Die Polizei hat „Ringalarm Terrorismus“ ausgelöst, die Landesgrenzen Baden-Württembergs sind ebenso dicht wie die nach Österreich oder in die Schweiz. Alarmstufe drei, jeder Polizeibeamte außer Dienst wird mobilgemacht.

Das Szenario ist nicht gerade frei erfunden. Im Sommer vor gut zwei Jahren war im Firmengelände Dornier, einer Tochter des PKW- und Rüstungskonzerns Daimler Benz, nach Ankündigung tatsächlich nächtens eine Bombe explodiert. Mit windigen Indizien, aber dem Pauschalvorwurf der Mitgliedschaft in der RAF sind zwei Personen deshalb vor wenigen Monaten zu je zehn und acht Jahren Knast verurteilt worden, gegen drei weitere läuft derzeit ein Verfahren. Doch wo die Bundesanwaltschaft den Verurteilten noch unterstellte, ihr Werk per Fahrrad und in deutschen Jugendherbergen geplant zu haben, argwöhnt man heute ein Entkommen der Terroristen (Störer genannt) übers Wasser.

Tatsächlich! Drei Stunden sind vergangen, da schlägt der Terror wieder zu. Bei Hagnau, unweit von Immenstaad hat sich ein Terrorist bewaffnet und mit Gewalt eines Fischerboots bemächtigt. Der Bodenseefischer dient als Geisel, und ab geht's erst nach Konstanz, und dann der internationalen Übung wegen Richtung Schweiz. Und nicht genug, kaum eine Stunde später verläßt ein weiterer Terrorist die BRD mit demselben Trick von Langenargen.

Vom Hubschrauber aus ist, trotz geöffneter Luke, bisher nur eine fröhlich winkende Familie zu erkennen. Wir kreisen über Langenargen, über den abgetakelten Jachten des kleinen Hafens und über dem Spielkasino im kleinen Wasserschlößchen. Wo aber ist der Terrorist? Ein U-Boot, eine hölzerne Wurzel? Der Dunst hat zugenommen!

Plötzlich schert ein Fischerboot aus den Reihen der anderen aus, beschleunigt und nimmt Kurs auf die gegenüberliegende Schweiz - ein Signal für die Motorboote der alarmierten Wasserschutzpolizei. Die letzten Möven, Fische, ja selbst Fischer werden verjagt. Die Hatz geht los, ganz plötzlich stürzt sich auch noch ein Polizeihubschrauber auf das kleine Boot, wirbelt das Wasser auf, Wellen schlagen in den Kahn, doch der Terrorist gibt noch nicht auf, weicht aus und versucht erneut in die Schweiz vorzudringen. Dann kentert er beinahe. Aus dem Nebel nähern sich vorsichtig die Eidgenossen. Das Spiel ist aus.

Ein dritter Terrorist hätte, nach Österreich hin, fast ungeniert die Plattform der Seefestspiele im Bregenzer Hafen erreicht. Doch auf geplante Weise wird auch er noch arretiert. Wenn man die Absurdität des Plans einer Flucht über den Bodensee unterstellt, sind die polizeilichen Einsatzkräfte endlich Sieger. Die Übung, so heißt es später in der Einsatzzentrale, sei gelungen. „Professionelle Zusammenarbeit aller Sicherheitsorgane über nationale Grenzen hinweg - ein weiterer Schritt zur effektiven Verbrechensbekämpfung“, nennt das später Staatssekretär Spranger vom Bundesinnenministerium.

Erklärtes gemeinsames Ziel sei es gewesen, die gemeinsame Sicherheit der Bürger aller beteiligten Staaten ständig zu verbessern. Die im Übungsverlauf gewonnenen Erkenntnisse müßten zügig umgesetzt werden. Denn der Wegfall von Grenzen bei Öffnung des europäischen Binnenmarktes braucht schließlich eine polizeiliche Alternative.