: DER ÄRGER DES GEERBTEN
■ Berlin-Modell Industriekultur in der Osram-Fabrik
Im Frühjahr diesen Jahres fand ein internationales Treffen von Architekten, Designern und Stadtplanern in dieser unserer Stadt statt. Mittels Fachtagung und populärer Ausstellung sollte das Generalthema „Industriebau“ der Berliner Öffentlichkeit, wie immer begeistert, nahegebracht werden (wir berichteten). Der direkte Berlin-Bezug wurde in diesem Zusammenhang auch hergestellt, schließlich muß jeder Politiker für die ausgegebenen Milliönchen Rechenschaft ablegen. Und das kann politiker am besten, wenn außer den bezahlten Hotelrechnungen der Tagungsgäste auch etwas Handgreifliches und Vorzeigbares herausspringt. Wenn politiker Glück hat, kommt auch Umsetz- und Baubares dabei heraus.
Für vier ausgewählte Gewerbeareale wurde im Mai quasi als Hausaufgabe für eingeladene Architekten die Themenstellung ausgegeben: diese sogenannten Problemgebiete (Rotaprint Wedding, Gewerbehof Lehrter Straße Moabit, Heliowatt Charlottenburg und Produktionshof Spandau) bedürfen einer neuen Nutzung oder baulichen Neuorientierung, da die alten Besitzer entweder anderswo produzieren oder nicht mehr existieren.
Nahezu im Wettbewerbsverfahren wurden sommersüber Strategien entwickelt, Konzepte erstellt und architektonische Entwürfe vollendet. Nun sollte Resümee gezogen werden. Das geschah wieder in der bewährten Mischform von Fachsymposium und Ausstellungsrepräsentation. So traf man sich diesmal an industriegeschichtlich herausragendem Orte, der ehemaligen Osram-Fabrik im Wedding. (Nebengedanke: Man überlege sich mal, bei wievielen Industriebauten das Wörtchen „ehemalige“ voransteht.)
Während des frühlingshaften Auftakttreffens beschäftigten sich die Fachleute intensiv mit von Peter Behrends entworfenen Turbinenhallen der AEG im westlichen Moabit. Mit dem Klinkersteinmahnmal eines vergangenen Industriezeitalters und der Glühlampengedenkstätte im Wedding begaben sich die Verantwortlichen in zwei Brennpunkte, die dringender Hilfe harren. Lange Jahre auf bessere Zeiten vertröstet, zu Tode bzw. gar nicht saniert, dämmern beide Bezirke am nördlichen Rand der City in einem tiefen Morphiumschlaf. Künstlich ruhiggestellt und nicht geheilt. So wurde jetzt ein neues Mittelchen ausprobiert: das Berlin-Modell ging, wie erwähnt, vor Ort. Aber auch in den Kathedralen der Arbeit blieb man unter sich und plauderte von Fachmann zu Fachmann (Frauen waren eigentlich nur in den Zirkeln erschienener Architekturstudentinnen vertreten). Hinter dem Begriff „Industriekultur“ verbirgt sich die Erkenntnis, daß zahlreiche Gewerbegebiete aus der großen industriellen Phase Berlins - von der Gründerzeit bis zum Ende der Weimarer Republik - nicht mehr gebraucht werden. Historische Industriegebäude, selbst in der Innenstadt, stehen seit Jahren leer, verfallen und werden abgerissen (Brauerei Engelhardt Charlottenburg). Die Bauflächen werden zu Brachflächen. Nur wenn tatkräftige Kapitalinteressen bestehen, werden die Areale neu bebaut. Die leerstehenden Gebiete werden zu städtebaulichen Problemfeldern; so geschehen mit dem AEG-Gelände Brunnenstraße, bevor Nixdorf mit Millionenförderung zum Neubau seiner Megabit-Fabrik überredet wurde.
Es hat Jahre gedauert, bis die Bauverwaltung und die Stadtpolitiker diesen Mißstand bemerkt haben. Nun setzt konsequent die Gegenreaktion ein: Die systematische Neuorientierung wird zum Programm erkoren. Da wurde dann allen Ernstes ein „Zentrum für Industriekultur“ gefordert. Der Mißstand wird institutionalisiert, so als ob die Baufachleute Dutschkes Slogan aus der bewegten Zeit vom „Gang durch die Institutionen“ zum Leben verhelfen wollten.
Das wäre nun sicher der falsche Weg. Wir brauchen keine Zentren, die für den kurzen Zeitraum öffentlichen Interesses Sonderkonditionen schaffen und sonst sanft dahin schlummern. Wir benötigen für unsere Architektur ein Kulturverständnis, das Industriebauten als wohnungsnahe Produktionsgebäude behandelt und sinnvoll innoviert (Beispiel: Gaswerk Bologna). Was wir heute als Fassadenmahnmal der Arbeiterkultur aus den zwanziger Jahren sichern wollen, wurde damls als Neubau heftig umstritten und angefeindet: der Ziegelstein im Lichte der neuesten Forschung.
Die Fachtagung, durch eine Pressekonferenz nuschelnder Spezialisten beendet, hat alle die enttäuscht, die mit irgendwelchen Erwartungen zum Symposium gekommen sind. Also am besten ohne Ambitionen, dann wird man auch nicht enttäuscht.
Die Ausstellung
Gleich nach den schönenden Abschlußreden der Tagung gab es die höflichen Eröffnungsformalitäten für die Exposition der erarbeiteten Entwürfe. The show must go on.
Offenkundig werden zwei Erscheinungen: Querschnittsdenken als interdisziplinärer Ansatz spielt unter den Baufachleuten von heute keine Rolle mehr. Der Designer entwirft vor sich hin, Bauökonomen und Baurechtsleute haben das dann in die der Obrigkeit genehme Form zu bringen. Vom grenzüberschreitenden Denken, das geeignet wäre, die anstehenden städtischen Probleme mit lösen zu helfen, entfernt man sich wissentlich mehr und mehr. Kirchturmpolitik und fachlicher Individualismus ist angesagt. So wundert es längst nicht mehr, wenn Betroffenenvertretungen und Bürgerinitiativen als Regulativ und massives Gegengewicht selbst in kleinsten räumlichen Bereichen auftreten müssen, um eine außer Rand und Band geratene Entwicklung in die Verhältnismäßigkeit des Notwendigen zurückzudrängen.
Dazu gesellt sich dann ein weiterer Kamerad der Bewohnereinschüchterung: die Wucht des Gebauten. Zurückhaltung in Umfang und Größe ist nicht mehr gefragt, Persönliches Renommee der Architekten steigt mit der Größe der Projekte und realisierten Bauten. Architekten werden zu verkappten Feldherren, heute Rotaprint, morgen Ostmoabit, übermorgen Nord-Berlin. Da erinnern Entwürfe fatal an den mit nichts zu rechtfertigenden Gigantismus der Speerschen Großberlinplanung (Von Berlin nach Germania). So wird das Gelände des Hamburg-Lehrter Güterbahnhofs flächig mit gestelzten Produktions- und Verwaltungsbauten zugedeckt. Nur Kleingeister denken dabei an etwaige Kosten oder ökologische Folgeschäden. Und mit Geschichtsbewußtsein, auch im baulichen Sinne, hat das längst nichts mehr zu tun.
Die Ausstellungsverantwortlichen scheinen die Qualität der Entwürfe, obwohl nur einige wenige überdenkenswerte Konzepte zu finden sind, nicht über den Weg zu trauen. Wie sonst läßt sich erklären, daß Andreas Reidemeisters Entwurf eines Stadtelevators (meint Gangway im horizontalen und vertikalen Sinne) zum wiederholten Male dem nicht mehr staunenden Publikum gezeigt wird. Wenn es schon die überragenden Entwürfe nicht mehr gibt, so zeichnet sich Reidemeisters Projekt am Gleisdreieck als gelungener Wurf aus, städtebaulich Notwendiges (eine direkte Verbindung von vier nahen öffentlichen Verkehrsmitteln zu schaffen) mit architektonischer Einmaligkeit und ökonomischer Überschaubarkeit zu verknüpfen. Reidemeister plant ähnlich einem überdimensionalen Rollway im zweiten Stock Berlins, in 15 Meter Höhe, die M-Bahn, die U-Bahnlinien 1 und 7 und die S-Bahn zu verbinden. Die U7 soll hierfür zwischen Yorckstraße und Möckernbrücke einen neuen U-Bahnhof erhalten. Die verschiedenen Niveaus werden benutzerfreundlich mit Aufzügen überwunden. Daher der amerikanisierte Name „Elevator“. Reidemeisters Entwurf wurde zuerst in der Fachpresse diskutiert, in der „Denkmal -Denkmodell„-Ausstellung (in der staatlichen Kunsthalle im September) mit einem ausladenden großen Modell gewürdigt; auch in der Weddinger Ausstellungshalle steht Modellkörper im Mittelpunkt. Es ist symptomatisch für die Belang- und Orientierungslosigkeit der derzeitigen Berliner Arbeiten, daß zündende Ideen architektonischer Utopien mit städtebaulicher Zweckmäßigkeit verknüpft so oft herumgereicht werden.
Auf eine Kritik der einzelnen Entwürfe sei hier nicht näher eingegangen. Die Berliner Architektur der jüngeren Generation tritt, was Ideenreichtum, Formenspiel, Originalität und Einbindung in die städtebauliche Situation anlangt, auf der Stelle. Zu kräftigere Spuren hat die Postmoderne hinterlassen. Zumindest Jan Kaplicky entzieht sich dem Vorwurf mangelnder Phantasie durch einen humorvollen Rückgriff auf die Formensprache der frühen 70er Jahre. Für die Heliowattwerke in Charlottenburg setzt er mit einem wulstartigen Längsbau unübersehbare Akzente, selbst wenn ihm die baulichen Übergänge an die vorhandene Bausubstanz nur unzureichend gelingen. Der Entwurf scheint, was die firmeneigene Logistik (des späteren Nutzers) und die bauliche Überschaubarkeit anbetrifft, realisierbar.
Nach detaillierten Kalkulationen der Kosten war ja nicht gefragt. Wer mehr über die einzelnen Arbeiten und Objekte erfahren möchte und wissen will, wo die zwei Millionen Mark (Kostenabgabe der Sponsorenbeiträge, in der Eröffnungsrede ausgeplaudert) bei diesem Projekt verbraten wurden, sollte den beschwerlichen Weg in den Wedding auf sich nehmen; Proviant ist mitzubringen, denn außer der Hertha-Fankneipe ist keine gastronomische Einrichtung in der Nähe (wer sich zutraut, 200 meter zu fuß zu gehen, wird in der Müllerstraße und umgebung reichlich was finden. sezza).
mosch
„Berlinmodell-Industriekultur“ in der Osram-Fabrik B, Groninger/ Ecke Oudenarder Straße, 2. Stock mit Aufzug. Kein U-Bahnanschluß (bedingt: u-bahn Nauener Platz. sezza)
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