: Konzeptlos und Durcheinander
■ Senats-Gutachter legt Bericht über Polizei-Pannen vor: Vernichtendes Urteil für Einsatzleitung: „Von Führung nichts zu spüren“ / Schützenhilfe für Meyer: „keine politische Verantwortung“
„Es wäre zu hart, dem Innensenator die politische Verantwortung für die zahlreichen Pannen zuzuschieben.“ Zu diesem „Traum„-Ergebnis für Innensenator Bernd Meyer kommt Bremens Ex-Generalstaatsanwalt, Günter Wendisch, nachdem er sich zwei Monate lang mit Funkprotokollen, Zeugenaussagen und Polizeiakten zum Bremer Geiseldrama herumgeschlagen hat. Seinen 66seitigen Bericht über das Versagen der Polizei während des Geiseldramas hatte Günter Wendisch erst am Vormittag dem Bremer Senat vorgestellt. Schon am Nachmittag wurde die frohe Botschaft auf einer eigens einberufenen Senatspressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Resumee: Viele Pannen, viele Fehlentscheidungen der Einsatzleitung, keine Verantwortung des zuständigen Senators.
Günter Wendisch war vom Senat am 25. August als neutraler Gutachter eingesetzt worden, als sich die öffentliche Kritik an der Strategie der Polizei häufte. CDU und Grüne forderten dagegen den Rücktritt des Innensenators und die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, um die politische Veranwortung für die möglicherweise tödlichen Fehler der Polizei zu klären.
Für politische Konsequenzen des Senats allerdings sieht Senatsgutachter Günter Wendisch keinen Grund. Für ihn sind vor allem technische Mängel in der Ausstattung der Bremer Polizei und Fehlentscheidungen „in unteren Schichten der Polizei“ verantwortlich für die unbestrittenen Pannen: „Alles, was man dem Innensenator vorwerfen kann, ist daß unter ihm eventuell die fal
schen Personen gearbeitet haben.“
Sechs entscheidene Mängel in der Arbeit der Polizei listet Wendisch in der Zusammenfassung seines Gutachtens auf.
Erster Fehler: Bremens Polizeipräsidium ist zu klein, um überregionale Großeinsätze zu koordinieren. Unvermeidliches Herumgehen und Gespräche führen deshalb zu „akustischen Störungen“. Im „Lagezentrum “ des Führungsstabes war für die Befriedigung „bloßer Neugier kein Platz“ - ein versteckter Seitenhieb auf Bürgermeister Wedemeier, der aus Bequemlichkeitsgründen auch seinen Fahrer mit ins Lagezentrum gebracht hatte.
Zweiter Fehler: Die technischen Anlagen sind veraltet, Funkgeräte stammen aus den 60er Jahren und entsprechen nicht dem Stand der Technik. Während des
Geiseldramas war nicht nur der Fernschreiber ausgefallen, auch ein Ersatzgerät gab seinen Dienst auf. Auch für die mangelhafte technische Ausstattung trifft den zuständigen Senator keine Verantwortung, wie das Gutachten ausdrücklich vermerkt, da trotz seiner ausdrücklichen Warnungen notwendige Neunschaffungen nicht bewilligt wurden.
Dritter Fehler: Eigenmächtig wich Kripochef Möller als Einsatzleiter von einer bundeseinheitlichen Richtlinie zur Organisation von Führungsstäben ab. Wendischs Urteil über Möllers Führungskonzept: „In diesem Fall unbrauchbar“.
Vierter Fehler: „Die Zusammenarbeit im Führungsstab war schlecht. Es fanden keine Lagebesprechungen statt. Teilweise herrschte echtes Durcheinander und von einer Leitung durch den
Polizeiführer war nichts zu spüren.“ Zum Beispiel erfuhren Bremer Polizeireviere erst durchs Radio, daß die Gladbecker Bankräuber sich in Bremen aufhielten.
Fünfter und laut Gutachter Wendisch schwerster Fehler: Der fehlende Notarztwagen an der Raststätte Grundbergsee. Erst ein eigenmächtig, aber verspätet aus Zeven angerückter Notarztwagen konnte den schwerverletzten Emanuel de Georgi ins Bremer St.-Jürgen-Krankenhaus transportieren.
Sechster Fehler: „Die Kaperung des Busses mit fast 30 Fahrgästen hätte verhindert werden können, wenn die Straßenbahn ihren Haltestellenbereich rechtzeitig gesperrt hätte.
Heute will Innensenator Meyer zu Wendischs Gutachten Stellung nehmen.
Klaus Schloesser
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