Südkorea rechnet mit Chun Doo-Hwan ab

Seouler Parlament untersucht Menschenrechtsverletzungen und Korruption / Untersuchungsausschüsse Thema Nummer eins in der Öffentlichkeit / Neue Berichte über „Umerziehungslager“ / Die Verantwortlichen auch heute noch in Amt und Würden  ■  Aus Seoul Jürgen Kremb

„Es ist, als wäre die Familie von Ex-Präsident Chun Doo-Hwan auf dem Hackbrett“, freut sich ganz unverhohlen die englischsprachige Tageszeitung 'Korea-Times‘. Für einen Professor der Elite-Hochschule Nationale Universität Seoul, „hat jetzt endlich die Abrechung mit den Verantwortlichen der Diktatur der fünften Republik begonnen“. Und zwar, wie er meint, „von den Generälen und Ministern bis zum letzten Dorfpolizisten.“ Vom 20. bis 24.Oktober saßen die 299 Parlamentarier der südkoreanischen Nationalversammlung in 15 Untersuchungsausschüssen zusammen, um Licht in die Korruptionsaffäreen und Menschenrechtsverletzungen der Ära Chun Doo-Hwan (1980 bis Frühjahr 1988) zu bringen.

Nur acht Monate nach der Amtsübernahme des jetzigen Präsidenten Roh Tao-Woo und wenige Tage nach den Olympischen Spielen in Seoul war der Politik-Thriller im Parlament für viele Koreaner spannender als das Sportspektakel. Die Liste der über 200 Zeugen las sich mitunter wie ein Who is Who der Amtszeit von Junta-Chef Chun Doo-Hwan. Personen, die einst Angst und Schrecken in Südkorea einflößten, wie der Chef der Präsidialgarde Ahn Hyun-Tae, der Ex-Generalstaatsanwalt Suh Dong-Kwon oder Geheimdienst-Chef Chang Se-Dong mußten sich jetzt stundenlang von Abgeordneten verhören lassen.

Seit 1972 der damalige Präsident, General Park Chung-Hoo, mit der sogenannten Revitalisierungs-Verfassung die uneingeschränkte Macht gesichert hatte und die Opposition brutal unterdrückte, hat Südkorea eine solche Befragung nicht mehr gesehen. Die lokalen Fernsehstationen, die immer noch damit beschäftigt sind, die koreanischen Olympiasiege wieder und wieder abzuspulen, widmeten dem Untersuchungsausschuß fast ihre gesamten Abendnachrichten.

Im Mittelpunkt der Untersuchungen stand das Kwangju -Massaker vom Mai 1980. In Kim Dae-Jungs Heimatstadt war ein Volksaufstand gegen die Junta ausgebrochen, die sich damals in Seoul an die Macht geputscht hatte. Als Truppen die Demonstranten niedermetzelten, soll es nach Regierungsangaben 191 Tote unter der Zivilbevölkerung gegeben haben. Die Opposition hatte aber stets von 2.000 Opfern gesprochen.

Chjoi In-Ki, Bürgermeister der Stadt, berichtet jetzt erstmals davon, daß nach seinen Unterlagen „weitere 710 Personen im Zusammenhang mit dem Volksaufstand tot, vermißt oder schwer verletzt gemeldet wurden“. Ferner gab das Verteidigungsministerium bekannt, daß der Oberbefehl über die 20.Infanterie-Division bereits am 16.Mai von den amerikanischen Generälen auf südkoreanische Militärs übertragen worden war. Die Soldaten unter der Leitung des jetzigen General-Sekretärs der regierenden „Demokratischen Gerechtigkeitspartei“, Park Jun-Byung, wären danach in Kwangju einmarschiert.

Mit ungewöhnlicher Offenheit erklärte das Verteidigungsministerium schon wenige Tage vor Beginn der Untersuchung, daß in Umerziehungslagern in der Zeit von 1980 bis 1982 mindestens 50 Personen an „den Folgen von disziplinarischen Maßnahmen“ gestorben seien. In diese Drei -Sauberkeits-Lager waren zu Anfang der Ära Chun Doo-Hwan fast 40.000 Dissidenten, Studenten und „sozial schlechte Elemente“ eingewiesen worden. Schon seit Wochen drucken südkoreanische Zeitungen Berichte, nach denen Gefangene gezwungen wurden, ihre eigenen Exkremente zu essen oder beispielsweise hinter einen Jeep gefesselt und totgeschleift wurden. Auf der Liste der Verantwortlichen dieser Lager finden sich neben dem Leiter des Seouler olympischen Komitees Park Seh-Jik zahlreiche andere hohe Politiker und Militärs, die noch immer in Amt und Würden sind.

Ähnliche Abgründe taten sich bei der Befragung der Familienmitglieder von Ex-Präsident Chun und seiner Frau Lee Song-Ja auf. Weite Teile der Familien der beiden schienen in den vergangenen sieben Jahren vor allem damit beschäftigt gewesen zu sein, die Machtvorteile, die Chuns Amt bot, eifrig in Geld umzumünzen. Wenn für die meisten Südkoreaner all diese Offenheit jetzt ein Beweis dafür ist, wie ernst es Roh Tae-Woo mit einer Demokratisierung meint, fragen sich einige Zeitungen dennoch, warum ausgerechnet Rohs Name mit keinem der Verbrechen von Chuns Amtszeit in Verbindung gebracht wird. Denn immerhin galt er als engster Vertrauter des früheren Staatschefs und leitete bis 1982 den militärischen Geheimdienst.