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Das Besatzungsstatut - ein nützlicher Papiertiger

Ein Gespräch mit Herbert Stern, dem ehemaligen US-Bundesrichter am U.S.Court for Berlin  ■ I N T E R V I E W

Was hatte ein US-Richter in Berlin zu suchen? Ganz einfach: Auch 43 Jahre nach Kriegsende sind die höchsten Machtorgane in West-Berlin die drei Alliierten, genauer gesagt ihre Stadtkommandanten. Wenn sie - oder ihre deutschen Partner - es für nötig befinden, setzen sie die deutsche Gerichtsbarkeit außer Kraft, herrschen mit militärischen Vollmachten. Im Rahmen des Besatzungstatuts der Stadt ist auch die Einberufung von Gerichtshöfen der Alliierten möglich. So 1979, als US-Bundesrichter Herbert Stern von seiner Regierung nach Berlin entsandt wurde, um zwei DDR-Bürger, die ein polnisches Verkehrsflugzeug auf den Flughafen Tempelhof im US-Sektor entführt hatten, abzuurteilen. Der Richter enttäuschte allerdings seine Auftraggeber und verwandelte das Verfahren in ein Tribunal gegen das Besatzungsrecht.

taz: Vor neun Jahren haben sie als Richter am U.S.Court for Berlin für Schlagzeilen gesorgt. Sie haben darüber ein Buch geschrieben, außerdem ist - unter ihrer Mitarbeit - ein Film gedreht worden. Gab es Reaktionen politischer Stellen?

Herbert Stern: Mir ist keine Reaktion der Regierung bekannt geworden, denn, wie sie wissen, ist man hier wie auch in Deutschland frei, seine Meinung zu sagen. Die Regierung hat mich jedenfalls nie deswegen kontaktiert; das Buch erschien ja vier Jahre nach den Ereignissen. Außerdem ist es vielleicht interessant, daß fast alle in den Fall verwickelten Regierungsangestellten inzwischen nicht mehr dort beschäftigt sind. In jedem Land arbeitet man ja nur eine bestimmte Zeit für die Regierung und verläßt sie dann wieder, so daß der größte Teil des beteiligten Personals gar nicht mehr für die Regierung arbeitet. Ich denke aber, die Situation in Berlin ist weitgehend dieselbe geblieben.

Sie wurden nach Berlin geschickt, um ein Verfahren gegen zwei Entführer eines polnischen Flugzeugs zu führen. Könnten Sie uns in ein paar Sätzen eine Vorstellung von den Schwierigkeiten vermitteln, in die sie mit diesem Auftrag geraten sind?

Nun, es war gewissermaßen, als ob ich in eine ganz andere Welt versetzt worden wäre. Die gesetzliche Grundlage des Gerichts beruhte auf dem Besatzungsstatuts. Schwierigkeiten gab es jede Menge, denn dieses Gericht gab es bis dahin nur auf dem Papier, es war nie zuvor einberufen worden. Es ist seitdem nie wieder einberufen worden und wird es höchstwahrscheinlich auch nie wieder werden ...

... was Ihnen zu verdanken ist!

Ich denke, wenn man ein anderes Land besetzt, hört man nicht gern, wenn jemand der Machtausübung Grenzen setzen will. Was ich jetzt sagen will, kann man eigentlich nur als Berliner nachvollziehen: Das Entscheidende an der Besatzung ist, daß sie in einer Beziehung eine Fiktion ist, in einer anderen aber harte Realität. Eine Fiktion ist sie im Bewußtsein der Amerikaner, weil sie glauben, mit dem Beharren auf dem Status Berlins die Russen draußen zu halten. Sie üben ihre Rechte als Eroberer und Besatzer aus, um zu verhindern, daß Berlin von der DDR geschluckt wird. Genausogut wird aus dieser Fiktion der Besatzung aber eine Realität, wenn dies den Bedürfnissen vor allem der bundesdeutschen Regierung entgegenkommt, die erreichen will, daß Amerikaner, Briten oder Franzosen ihre überlegene Position geltend machen. Sie ersucht dann eine oder auch alle drei Besatzungsmächte, der Berliner Regierung Anweisung zu erteilen, etwas zu tun, das die Berliner Regierung eigentlich gar nicht tun kann. Der U.S.Court for Berlin zum Beispiel: er wurde nur einberufen, weil weder Bonn noch die Berliner Regierung diesen Leuten einen Prozeß machen wollte.

Aus politischen Gründen?

Ja, politisch in dem Sinn, daß eine Strafverfolgung dieser Tat in der Bundesrepublik unpopulär gewesen wäre; Flüchtlinge werden nicht als Verbrecher betrachtet. Seit 1979 waren dies wohl die einzigen Deutschen, die für ihre Flucht zur Rechenschaft gezogen worden sind. Wenn Sie in der DDR ein Auto stehlen, einen Grenzkontrollpunkt durchbrechen

-würde man Sie vor Gericht stellen?

Ich glaube kaum.

Bestimmt nicht! Wenn Sie aber ein Flugzeug entführen, muß die Bundesregierung sich mit ihrem Verhältnis zu den internationalen Abkommen gegen Luftpiraterie auseinandersetzen. Weil sie aber trotzdem keinen Prozeß durchziehen wollte, überredete sie die Amerikaner, ein Besatzungsgericht einzuberufen.

Das erklärt natürlich, warum es gegenwärtig wenig Bestrebungen gibt, am Status von Berlin etwas zu ändern.

Die Okkupation, zumindest die Fiktion der Okkupation, muß aufrechterhalten werden, einfach um weiterhin eine legale Basis zu behalten, daß Amerikaner, Briten und Franzosen da und die Russen draußen bleiben. Andernfalls wäre es für die zwei Millionen Menschen in West-Berlin aus und vorbei. Was aber passiert, ist, daß die Bonner Regierung - wenn sie ihre eigenen Gesetze umgehen will, wenn sie etwas tun will, das politisch zweckmäßig ist, aber von den eigenen Gesetzen nicht zugelassen wird - daß dann die umfassende Macht der Alliierten als Rechtfertigung benutzt wird.

Es gab ja einige Präzedenzfälle in den letzten Jahren, als etwa die Berliner Polizei, die auch letztlich unter Kontrolle der Alliierten steht, ihre Macht einsetzte, um ganze Stadtteile abzuriegeln, beim Besuch Präsident Reagans etwa.

Genau. Alles, was die Polizei tun muß, ist zu sagen, daß dies von der Besatzungsmacht angeordnet worden ist. Die Okkupationsmacht und -verordnungen sind allmächtig, sie stehen über jedem lokalen deutschen Gesetz und jeder Verordnung. Die Amerikaner, Briten und Franzosen sind nur dazu da, die Wünsche derjenigen zu erfüllen, die letztlich für alles bezahlen. Die Besatzung ist zum Nutzen der Deutschen, sie wird bezahlt von den Deutschen, mit dem Ziel, die Freiheit West-Berlins zu bewahren. Aber die Ironie dabei ist, daß eine der Grundsäulen der Freiheit - die Rechtsstaatlichkeit, die Befolgung der Gesetze und der Verfassung - immer wieder außer Kraft gesetzt werden kann, indem Bonn die Alliierten ersucht, eine Verletzung dieser Grundsätze anzuordnen.

Interview: Stefan Schaaf, Washington

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