Auf den Brettern der Erfahrung

■ Von Spätzündern, Herzschrittmachern und grauen Zellen

Manche werden erst im Alter nach einem arbeitsreichen Leben zum Bühnenstar. Aber wenn sich alte Menschen in einer munteren Rentnergruppe zusammentun, dann machen sie höchst amüsierliches Volkstheater. Allein in Berlin gibt es mittlerweile vier Laienspielgruppen mit alten Menschen. Sie nennen sich „Spätzünder“, „Herzschrittmacher“, „Graue Zellen“ und „6 Richtige“ und erfreuen sich anhaltender Begeisterung beim vorwiegend gleichaltrigen Publikum.

Begonnen hat ihre Geschichte vor acht Jahren, als die damals 23jährige Eva Bittner per Kleinanzeige zu einem Theaterworkshop aufrief. Von vielen Interessierten blieb ein Dutzend übrig, sie nannten sich „Spätzünder“ und brachten bald ihre erste Produktion zum Thema Einsamkeit im Alter auf die Bühne. Der Erfolg beim Publikum war groß, andere Produktionen folgten nach. Gespielt wurde (und wird) in Seniorenfreizeitstätten, Altentreffs oder Nachbarschaftsheimen. Da der Bedarf groß war und die Begeisterung im Publikum bei manchen die Lust aufs Selbermachen weckte, entstanden bald neue Gruppen mit ähnlichem Konzept. Ihre zentrale Koordinationsstelle ist das Nachbarschaftsheim Schöneberg in der Fregestraße: Dort finden unter fachlicher (Regie-)Betreuung Proben statt, dort ist auch das gemeinsame organisatorische Projektdach „Theater der Erfahrungen“ beherbergt.

Gemeinsam ist allen Produktionen die langsame Erarbeitung des Textes durch die Schauspieler selbst; bis auf eine Ausnahme entstanden alle Stücke während der Probenarbeit. Sie handeln von den Schwierigkeiten des Zusammenlebens in der Alten-WG, Vorurteilen gegenüber alten Leuten, alltäglichen Dramen und Komödien, aber auch heikle Fragen wie Sexualität und Abtreibung werden nicht ausgespart. Wo Kritik an Engstirnigkeit und Charakterschwäche geübt wird, kommt sie nie bierernst und verbissen rüber, sondern stets humorvoll und augenzwinkernd.

Was die Vorführungen darüber hinaus angenehm von so mancher Produktion einer freien Theatergruppe unterscheidet, ist der unverkrampfte Umgang mit dem Medium. Die alten Leute haben es offensichtlich nicht nötig, sich an der Elle des Kulturbetriebes zu messen. Statt Professionalität vorzugaukeln und dem letzten Schrei auf der Spur zu sein, liefern sie konventionelles schauspielerisches Handwerk als Laien. So bleibt das Theater nahe an seinem Ursprung: Es zählt die Lust am Spiel und die Möglichkeit, im Spiel Erfahrungen zu verarbeiten.

U.M.