Nur gemeinsam gibt es eine Perspektive

Mikis Theodorakis über die Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei  ■ I N T E R V I E W

Mikis Theodorakis gilt als der bekannteste griechische Komponist der Nachkriegszeit. 1986 war er der Mitbegründer der Griechisch-türkischen Freundschaftsgesellschaft.

taz: Wie beurteilen Sie den „Geist von Davos“, von dem nach dem Treffen der beiden Staatschefs die Rede war? Was hat sich seither getan?

Theodorakis: Vor kurzem hatte ich ein großes Konzert im antiken Theater von Ephesus. Das türkische Volk und vor allem die türkische Jugend hat dort die tiefe Sehnsucht nach Frieden und Zusammenarbeit mit dem griechischen Volk gezeigt. Ich sage das, weil ich der Meinung bin, daß die Freundschaft und der Frieden zwischen diesen beiden Völkern nur auf Initiative der Völker selbst hergestellt werden kann. Die Regierungen kommen und gehen, aber das Volk bleibt. Darum dürfen wir nicht passiv abwarten, sondern müssen energisch eingreifen und versuchen, die Dinge in unsere Hand zu nehmen.

Diesen „Geist von Ephesus“, wie ich ihn nenne, gab es ja eigentlich vor dem Geist von Davos, und zwar begann das vor über zwei Jahren, als wir mit Zülfü Livanelli im Stadion von Istanbul vier Konzerte gaben. Danach wurden, weit vor dem Geist von Davos, die zwei griechisch-türkischen Freundschaftsgesellschaften gegründet. Die zwei Komitees haben mit viel Mut, Selbstbewußtsein, Realismus und Phantasie diese Grundlagen für die Zusammenarbeit gelegt: Erstens die gegenseitige Anerkennung der territorialen Integrität des anderen Landes; zweitens die Achtung vor der Unabhängigkeit Zyperns und Zurückziehung sowohl der griechischen als auch der türkischen Truppen, und drittens, daß sich diese Freundschaft auf den Prinzipien der Freiheit, Demokratie und Achtung aller Menschenrechte gründen wird.

Was wurde bis jetzt sonst noch unternommen?

Wir haben zwischen diesen beiden Komitees Begegnungen organisiert. Zum ersten Mal vor einem Jahr in Saloniki, wo auch Atatürk auf die Welt kam. Wir haben sein Haus besucht, und gegenüber von diesem Haus ist eine Skulptur von Venizelos. Diese zwei historischen Persönlichkeiten hatten den Mut, die Freundschaft zwischen beiden Ländern auszurufen, und zwar in einer sehr schwierigen Zeit, acht Jahre nach dem Krieg. Atatürk hat gesagt, daß die Zukunft der Türkei auf der Freundschaft zu Griechenland beruht, und Venizelos hat Atatürk für den Internationalen Friedenspreis vorgeschlagen. Das zeigt, wie sehr sie in die Zukunft gesehen haben. Wir haben auch andere Begegnungen gehabt, zum Beispiel in Istanbul und Ankara, wo wir von der Regierung und der Opposition empfangen wurden. Wir haben am Grab von Atatürk einen Kranz niedergelegt.

Wie sehen Sie der Zukunft entgegen, sind Sie optimistisch?

Ich weiß, daß es eine schwierige Sache ist, vor allem auch, weil es fremde Interessen gibt, die eine Freundschaft zwischen diesen beiden Völkern gar nicht wollen. Dann gibt es Kreise in Griechenland und in der Türkei jeglicher Couleur, die entweder aus Nationalismus, Chauvinismus oder Voreingenommenheit diese Freundschaft nicht wollen. Wir müssen eins wissen: Wenn diese zwei Völker es nicht schaffen, freundschaftlich zusammenzuarbeiten, werden wir stets der letzte Zipfel Europas sein. Ich bin mir vollkommen sicher, daß es der einzige Weg ist, damit Griechenland und die Türkei wirtschaftlich und überhaupt weiterkommen. Wir haben nur eine Chance, wenn beide Völker Freundschaft und Zusammenarbeit - von mir aus eine Art Union - ausüben.

Unsere geographische Lage, unsere historischen Traditionen, der Charakter unserer Völker und deren Ökonomie zeigen uns, daß wir uns bei einer Zusammenarbeit entwickeln und eine bedeutende Rolle in der Geschichte Europas spielen können. Wir sind Völker mit noch lebendigen Traditionen und Phantasie, und wir können wie in der Vergangenheit auch im geistigen Bereich auf die Europäer vorbildlich wirken. Damit das passieren kann, brauchen wir erst Frieden, danach freundschaftliche Zusammenarbeit, ökonomische Entwicklung, geistige und kulturelle Entfaltung. Das müssen wir tun.

Interview: Ayhan Bakirdögen