Gorleben: Zwischen Baustopp und „gar nichts“

■ Entscheidung des Lüneburger Gerichts zum Endlager in Gorleben wird beliebig interpretiert / Was für die Kläger zum Baustopp führt, soll für die Betreiber „keine Konsequenzen“ haben / Richter: „Bedrückend kompliziert“ und „nicht mehr nachvollziehbar“

Berlin (taz) - „Baustopp in Gorleben“ sagen die einen, „keinerlei Konsequenzen“ behaupten die anderen. Nach dem Gorleben-Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (OVG) von Dienstag präsentiert sich das Recht als beliebig dehnbarer Gummi. Das Gericht selbst hüllt sich bis zur schriftlichen Vorlage des Beschlusses in Schweigen. Nur der Kläger und die Beklagten wurden bisher fernmündlich vom „Tenor“ der OVG-Entscheidung unterrichtet. Einzige öffentliche Stellungnahme des Gerichts: Der Sachverhalt sei „bedrückend kompliziert“ und für Laien „nicht mehr nachvollziehbar“, so Richter Schwermer zur taz.

Versuchen wir's trotzdem: Der Gorleben-Graf Bernstorff klagt gegen das Bergamt Celle und die Physikalisch -Technische Bundesanstalt (PTB). Seit 1977 wird die Planung und „Erkundung“ dieses Endlagers für hochradioaktive atomare Abfälle von PTB und Bergamt betrieben. Von Beginn an versuchte Bernstorff seine Eigentumsrechte geltend zu machen.

Doch bisher war der Graf, dem ein Großteil des Geländes gehört, auf und vor allem unter dem das Endlager entstehen soll, vor der Justiz leergelaufen. Klagen gegen Standorte von Atomanlagen sind zwar grundsätzlich möglich, doch da in Gorleben nur „erkundet“ und nicht gebaut wird, wurde das Klagerecht des Grafen mit diesem juristischen Trick außer Kraft gesetzt. Umgangen wurden auch die Bestimmungen des Atomgesetzes. Ein formelles Genehmigungsverfahren mit Bürgerbeteiligung hat es bisher beim Endlager nicht gegeben. Rein formell fällt die Entscheidung über den Standort Gorleben irgendwann zwischen den Jahren 2000 und 2005 nach Abschluß der „Erkundung“. Bis dahin werden zig Milliarden verbaut, wird ein großes Erkundungsbergwerk errichtet und der Salzstock ausgehöhlt sein. Selbst das Ausgraben des Salzstocks in riesigen Dimensionen von mehreren tausend Metern gilt nicht als Bau des Endlagers, sondern ebenfalls nur als Erkundung. Nicht nur Bernstorff glaubt, daß der Salzstock solange erkundet wird, bis das Endlager fix und fertig ist. Aus finanziellen und zeitlichen Gründen wird ein Ausweichen auf einen anderen Standort nach der Erkundung nicht mehr möglich sein. Gegen diesen „heimlichen“ Bau des Endlagers zieht der Graf seit Jahren vor Gericht, fordert ein ordentliches Genehmigungsverfahren, Bürgerbeteiligung und sein Recht als Eigentümer des Salzstocks. Doch in der Sache haben die Gerichte bisher nicht entschieden. Auch das OVG hat die grundsätzliche Frage der Rechtmäßigkeit des Vorgehens von PTB und Bergamt ausgeklammert. Nach Darstellung der Anwälte Piontek und Geulen hat das Gericht aber die aufschiebende Wirkung der Klage von Bernstorff wiederhergestellt und die Eigentumsrechte des Grafen am Salzstock sowie die daraus resultierende Klagebefugnis grundsätzlich bejaht. Aus der Sicht der Anwälte hat es das Gericht außerdem untersagt, den Rahmen-Betriebsplan zu vollziehen. In diesem Rahmen-Betriebsplan ist das Gesamtkonzept der Planung abgesteckt. Ergo: „Diese Entscheidung bedeutet einen rechtlichen und faktischen Baustopp“ (Reiner Geulen).

Bei der PTB hört sich das ganz anders an. Die Entscheidung des Gerichts richte sich zwar gegen den Vollzug des Rahmen -Betriebsplans, doch die Einzelpläne seien davon nicht berührt. „Der Beschluß hat keinerlei Konsequenzen für uns, an unseren Arbeiten ändert sich gar nichts“, beschied PTB -Sprecher Viehl kurz und bündig. Noch in diesem Jahr würden die Arbeiten am Endlager wieder aufgenommen. Seit dem Schachteinsturz im Mai 1987 ruhen die Arbeiten. Damals hatte der Schacht dem Gebirgsdruck nicht standgehalten, ein Stützring war abgestürzt und hatte einen Arbeiter erschlagen. Seitdem war Funkstille, nur der Staatsanwalt arbeitete. Ob dies so bleibt, wird von der schriftlichen Begründung der OVG-Entscheidung abhängen. Die Anwälte wollen diese Begründung abwarten. Allerdings ist Reiner Geulen schon jetzt sicher, „daß die nicht so einfach weiterbauen können“. Daß dies möglich ist, hat nicht zuletzt die DWK in Wackersdorf vorexerziert. Auch hier wird mit Einzelgenehmigungen weitergebaut. Auch hier gilt: Die Kläger gewinnen ihre Prozesse, der Bau der Atomfabrik geht weiter.

Zur selben Zeit, als am Dienstag der Beschluß des OVG bekannt wurde, feierte die Atomgemeinde auf ihrer Fachtagung in der Bonner Beethoven-Halle die „zügigen Fortschritte der Endlager-Projekte“. Die ungeklärte Endlagerung des Atomschrotts sei schon lange kein technisches Problem mehr, sondern ein politisches, das seinen Ursprung in der „unzureichenden Einsichtsfähigkeit“ der Bürger habe, erklärte Töpfers Staatsekretär Stroetmann. Und die Bauherrn im Gorlebener Salzstock warfen erneut mit Jahreszahlen um sich. Der Unfall habe die Arbeiten um vier Jahre verzögert: 1994 wollte man den Schacht auf 840 Meter Tiefe niedergebracht haben.

Doch mit der Fertigstellung des Endlagers ist in diesem Jahrtausend nicht mehr zu rechnen.

Manfred Kriener