piwik no script img

TAUENTZIEN-ROKOKO

■ Eine Ausstellung expressionistischer Plakate von Josef Fenneker zu europäischen Stummfilmen 1920-1930

Modiglianesk bleich & langgezogen leuchtet ein Frauengesicht, die Augen lippenrot umrandet, aus duster unheilschwangerem Umfeld. Die erste Begegnung solch gespenstischer Art fand statt vermittels eines Buchumschlags: Die Messer-Tänzerin von Rachilde, über die Näheres zu sagen wär. (Ein andermal vielleicht, an einem andren Ort.) Weiter schimmert uns dies 1921er-Wesen ins Jetzt herüber von den Plakaten zu Das Medium & F.W. Murnaus Schloß Vogelöd. Es entspringt der rasantesten Schaffensphase Josef Fennekers, dessen Filmplakate - vor allen seinen anderen Arbeiten - die Zeit am eindrucksvollsten überdauerten. „Das Plakat, ein Kind des Tages, muß das Gewand des Tages tragen.“ Nach dieser Maxime von Hellmut Rademacher kleisterte Fenneker mit an jener überladenen Collage, die wir heute „Wilde Zwanziger“ heißen. „Tauentzien-Rokoko“ umschrieb ein Kunstkritiker seine anfangs stilistisch verspielten Arbeiten, die er hurtig fertigte im Auftrag nicht etwa der Verleihfirmen, sondern großer Lichtspieltheater. Ständig im zensorischen Clinch mit dem schutzbesessenen Reichslichtspielgesetz, fertigte er beinah jede Woche ein neues Plakat, was qualitative Ausrutscher da & dort erklärt.

Siegbert Goldschmidt, Inhaber des Marmorhauses, der selbstbewußt dazu neigte, eher seinen Namen als den des Regisseurs auf den Affichen verewigen zu lassen, ermöglichte Fenneker von 1919 bis 1924, sich so expressionistisch auszutoben, wie wir ihn heute bewundern, angemessen vielen beredt stummen Stücken von Friedrich Zelnik, Robert Wiene, Paul Wegener, Ernst Lubitsch, Fritz Lang & weiteren Kino -Koryphäen. Die beiden blieben sich auch weiterhin treu, da Goldschmidt seinen Stammgraphiker zum Gestalter des Luna -Parks, den er ebenfalls sein eigen nannte, berief.

Später mündete die Fennekersche Fließbandproduktion mehr & mehr in - durchaus nicht unwitzigen - Kitsch & Banalgepinsel, bis er mit „schräg verkanteten, unstatischem Monumentalismus“ (Hanna Gagel) den Belangen der Kunstkiller nach '33 diente. Für Erich Engels DEFA-Film Affaire Blum berappelte er sich 1948 noch einmal, zu den ureigensten ausdrucksstarken Anfängen zurückzukehren. An eben jene hohe Zeit, als die (Namens-)Züge von Asta Nielsen, Conrad Veidt, Ernst Deutsch oder Lil Dagover von Fennekers Blättern prangten, erinnert „Wenn Kino-Lust ins Auge springt“, eine Ausstellung, die heute abend um 19 Uhr startet. Bis 18.Dezember zeigt die galerie arndtstraße (Ecke Chamissoplatz) 21 wunderschöne Exponate, teils erwerblich, teils Leihgaben der Deutschen Kinemathek. Gleichermaßen bewegend für Cineasten wie für Freunde unbewegter Kunst gibts darüberhinaus zwei rare Katalogbüchelchen & die wohlfeile Reproduktion eines Fenneker-Plakates. „Ein effektvolles Plakat an der Säule macht unsterblich - für 24 Stunden!“ schrieb 1924 der Grafiker Julius Steiner. So strömet denn, der Regel Ausnahm zu bestaunen.

Norbert Tefelski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen