Die Affäre Fuentes

■ Ein Krieg zwischen Carlos Fuentes und Octavio Paz um Lateinamerikas Zukunft, ausgetragen auf Zeitungspapier

Majorie Miller

Wieder einmal wurde ein Krieg in den Vereinigten Staaten begonnen und dann nach Nicaragua verlegt. Der Kampf eskalierte durch ausländische Interventionen, die inquisitorischen Charakter hatten. Als Schlachtfeld dienten Medien und politische Berichterstattung. Die Krieger sind in diesem Fall nicht Soldaten, sondern die literarischen Größen Mexikos. Octavio Paz, der 74jährige Patriarch der mexikanischen Literatur und Führer der intellektuellen Rechten, gegen Carlos Fuentes, 59, Fürsprecher revolutionärer Regierungen und linker Positionen in Latein -Amerika. In diesem Krieg der Worte verweigern beide Kontrahenten jede Äußerung.

Statt dessen setzen ihre Verbündeten alle verfügbare verbale Artillerie ein. Der literarische Feldzug begann mit einer schonungslosen Attacke auf Carlos Fuentes. Der Artikel „The Guerrilla Dandy“ wurde am 27. Juni in der amerikanischen Zeitschrift The New Republic veröffentlicht. In ihm bescheinigt Paz‘ mexikanischer Biograph und Protege, Enrique Krauze, Fuentes eine „nur mäßige intellektuelle Phantasie“, seine Schriften seien unmoralisch und seine linken Ansichten banal. Es kam noch schlimmer, Krauze bezeichnete Fuentes als „Fremden in seinem eigenen Land“. Er sei unqualifiziert über Mexiko zu schreiben. Krauzes Angriff auf Fuentes, der einer der berühmtesten Autoren des Landes ist, entpuppte sich als Angriff auf eine nationale Institution. Die Reaktion, die folgte, kam einer Schändung der Nationalflagge gleich.

Diese Kampfansage, die Paz in der Zeitschrift Vuelta veröffentlichte, löste landesweit die heftigsten Reaktionen aus. Die Besitzerin des berühmtesten literarischen Salons in Mexiko gab bekannt, daß Krauze sich nicht mehr bei ihr blicken lassen solle. Einige Intellektuelle brachen wegen dieses Duells jeden Kontakt miteinander ab.

Als sicheres Zeichen dafür, daß das Contra-Problem so ernst nicht mehr zu nehmen ist, muß gewertet werden, daß der Innenminister Nicaraguas, Tomas Borge, sich die Zeit nahm, in einem Artikel den alten Freund der Sandinisten, Carlos Fuentes, zu verteidigen. Borge, der sich, wie so viele Nicaraguaner, für einen Poeten hält, schrieb in der mexikanischen Zeitung Excelsior, daß Krauze lediglich das Sprachrohr der antisandinistischen Rechten sei.

Im Gegenzug bezichtigte Enrique Krauze Tomas Borge der kulturellen Einmischung in Mexikos literarische Angelegenheiten. Der selbsternannte „Hüter über das Glück der Menschheit“ - der Spruch steht über der Tür von Borges Sicherheitsbüro - sei durchdrungen von dem Gedanken, daß mexikanische Polizisten und Politiker das intellektuelle Wohlergehen der Nicaraguaner beaufsichtigen müßten. „Der Artikel ist mein Werk,“ versicherte Krauze, und der Verdacht, daß es sich hier um eine Verschwörung handele , sei auf Borges Polizisten-Mentalität zurückzuführen.

Das Motiv hinter all diesen Angriffen ist unklar. Handelt es sich, wie manche behaupten, um bloße Rivalität zwischen Paz und Fuentes, oder um eine notwendige intellektuelle Diskussion? Ist es nichts als eine Geschmacklosigkeit oder handelt es sich um mexikanische Glasnost, eine Befreiung, die Kritik an heiligen Kühen in Kultur und Politik möglich macht? Geht es um Politik oder um Literatur? Die wichtige Funktion der Intellektuellen in der mexikanischen Gesellschaft, ja in ganz Latein-Amerika, gehört zum Hintergrund des Literatenkrieges.

Ihre Bücher werden bewundert und ihre Ideen werden gehört. Sie führen intensive politische Dialoge in den Tageszeitungen und manche werden sogar selber politisch aktiv. Sowohl Paz als auch Fuentes waren Botschafter für Mexiko, Mario Vargas Llosa bewirbt sich für das Präsidentenamt. Diese Fehde beweist das Bedürfnis der mexikanischen Intellektuellen auch in den USA, wo das ganze Theater begonnen hat, ihre Rolle zu spielen. Krauze macht sich lustig über Fuentes‘ „Gringo-Mentalität“, schreibt seine Attacke auf den Autor von The Death of Artemio Cruz und The old Gringo aber in einem amerikanischen Magazin.

„Ich war irritiert von Fuentes Direktheit“, schrieb der Herausgeber der New Republic, Leon Wieseltier. Er hätte den Aritikel von Krauze bereits vor einem Jahr angenommen, wollte ihn aber erst am 27. Juni veröffentlichen. „Ich dachte schon länger, daß Fuentes politisches und literarisches Wirken überschätzt wird. Er ist unglaublich glatt und oberflächlich.“ Wieseltier sagte in einem Telefon -Interview, „Ich glaube er war für jeden Amerikaner der typische Mexikaner und seine politischen Ansichten werden völlig unreflektiert hingenommen. Ein besonderes Ärgernis war für mich sein sentimentaler und intellektuell oberflächlicher Marxismus.“

Viele mexikanische Intellektuelle behaupten, die New Republic habe sich über Fuentes Engagement gegen die amerikanischen Waffenlieferungen an die Contras und gegen die US Intervention in Zentral-Amerika, geärgert.

Der Artikel wurde auch in Washington heiß diskutiert. Wieseltier erklärte, der Artikel sei nicht als Anstoß für amerikanische Politik-Debatten gedacht gewesen, sondern sollte ursprünglich in Zusammenhang mit der Neuerscheinung „The old Gringo“ veröffentlicht werden. Als man diesen Zeitpunkt verpaßt habe, wurde der Artikel gleichzeitig mit Fuentes autobiografischen Essays „Myself With Others“ veröffentlicht.

Auch Krauze sprach sich von jedem bösen Hintergedanken frei. In einem Interview sagte er, daß er das Angebot von New Republic angenommen habe, weil ihn als Biograph das Thema interessierte, gerade weil sich seine moralischen Ansichten stark von Fuentes unterschieden. Krauze schrieb, „Mexiko ist ein Land, an dessen Komplexität schon ganze Generationen verzeifelt sind, aber das scheint an Fuentes vorbei gegangen zu sein. Seine Arbeiten simplifizieren unser Land, seine Ansichten sind unmoralisch, unrealistisch und viel zu oft einfach falsch.“

Fuentes ist der Sohn eines Diplomaten, er wurde in Panama geboren und wuchs zeitweise in den Vereinigten Staaten auf. Er beschreibt in seinen Büchern die Hörigkeit Mexikos von seinem großen nördlichen Bruder.

„Genau das Gegenteil sei der Fall,“ schreibt Krauze, Mexiko war schon immer nur besessen von sich selbst.“

Fuentes ist berühmt für seine Sprachgewandheit. Krauze dagegen kritisiert, Fuentes habe kein Gehör für sprachliche Nuancen, Ausdrucksfragen und Themen. Krauze schreibt weiter, daß ihn die Gegensätze in Fuentes Werk irritieren, „der Pierre-Cardin-Geschmack vermischt mit Che Guevara-Politik.“

Fuentes war in den siebziger Jahren unter dem damaligen Präsidenten Mexicos Luis Echeverria, den Krauze einen korrupten und unfähigen Volkspräsidenten schimpfte, Botschafter in Frankreich. Carlos Fuentes unterstützte die kubanische Revolution, wohl um seiner Haß-Liebe zu den Vereinigten Staaten gegenzusteuern. Er entwickelte selbst dann noch keine kritischere Einstellung zum Castro-Regime als das in Mode kam. Krauze schreibt, Fuentes Verhältnis zu Nicaragua sei konformistisch. „Fuentes spult,- darin ist er Reagan sehr ähnlich - Illusionen ab, wenn er glaubt, daß die Sandinisten die wahren 'Friedensengel‘ seien.“ Während die Aufregung um den Artikel in den Vereinigten Staaten relativ schnell abebbte, schlug er in die literarische Welt Mexikos wie eine Bombe ein. „Unmoralisch“, schrieb Fernando Benitez, Herausgeber der Zeitung La Jornada. „Teuflisch“ heulte der Excelsior Kolumnist Gaston Garcia Cantu. „Eine strategische Offensive, um Fuentes in den Vereinigten Staaten anzuschwärzen,“ fügte der Kommentator des Excelsior, etwas beschwichtigend hinzu. Die spanische Version von Krauzes Artikel sei auch wesentlich harmloser, als die amerikanische. Der Herausgeber der mexikanischen Zeitschrift Nexos, Rafael Perez Gay, vermutete, Krauze wolle seine persönlichen Vorbehalte gegen Fuentes durch diese Kritik veröffentlichen. Eine Verletzung des männlichen Stolzes, diagnostizierte Perez Gay bei Krauze. Er habe das angeknackste Ego eines abgewiesenen Liebhabers, der seinen Exgeliebten in der Öffentlichkeit kränken muß. Gay glaubt, daß man diese Kritik als Kompliment betrachten muß. „Krauze ist ein Bewunderer, ein Liebhaber, ein abgewiesener Leser von Carlos Fuentes.“

„Heuchelei“, schoß der Dramatiker Pablo Hiriart zurück, einer der wenigen, der Krauze in einem Artikel verteidigte. „Es ist offensichtlich, daß Krauze das ausdrückt, was sich viele nur im stillen Kämmerlein denken.“

Tatsächlich waren einige seiner entschiedensten Verteidiger früher seine lautesten Gegner und auch die, die heute vor Eifersucht so laut schreien, haben eine ebenso erstaunliche Wandlung hinter sich. „Das ist ein Verband von Minderheiten, die gegen eine Institution anschießen,“ meint der linke Intellektuelle Jorge Castaneda. „Krauze wollte einen Skandal in den Vereinigten Staaten. Er kommt weder an einen Fuentes, noch an einen Castaneda heran. Er wollte den großen Wurf, ohne die Arbeit, die dazu gehört.“

Wie Borge, glaubt auch Castaneda, daß diese Attacke zu einem Teil von Paz inszeniert wurde. Paz, Autor von Das Labyrinth der Einsamkeit, besitzt ebenso wie Fuentes, große politische Autorität in Latein-Amerika.

„Paz beneidet den jüngeren Fuentes um seinen großen Erfolg in den Vereinigten Staaten und, was wesentlicher ist, um seine Popularität in Spanien, dem Mutterland der spanischen Sprache“, meint Castaneda. „In seinem hohen Alter plagt ihn die Eifersucht auf alles und jeden, auch auf Fuentes.“

Letztes Jahr erhielt Fuentes den Cervantes Preis, die höchste, literarische Auszeichnung im spanischen Sprachraum. Dieses Auszeichnung hatte Paz ebenfalls vor einigen Jahren erhalten. Im Januar wurde Fuentes der nicaraguanische Ruben Dario Orden für kulturelle Unabhängigkeit verliehen. Diese Auszeichnung strebt Paz mit Sicherheit nicht an, aber möglicherweise hat ihn auch diese Preisverleihung irritiert. Paz und Fuentes sind schon öfter als Anwärter für den Literaturnobelpreis im Gespräch gewesen.

„Fuentes Chancen darauf sind nicht mehr kleiner als die von Paz,“ vermutet Castaneda. Beide haben sie versucht, sich aus den Kämpfen herauszuhalten. Fuentes hat jeden Kommentar verweigert, er sagte, wenn er sich äußern würde, würden die Journalisten niemals mit ihrer Arbeit fertig werden. Paz meinte, daß er mit diesem Duell nichts zu tun habe. „Ich gebe der Polizei keine Antworten“, sagte Paz, und spielte damit auf den nicaraguanischen Innenminister Borge an, der seinen Artikel mit Paz (Frieden) verkündet den Krieg betitet hatte.

Krauze erklärte die Kritik an seinem Artikel für inhaltsleer und sich mehr gegen Intentionen als gegen Inhalte richte. Er unterstellte seinen Gegnern eine Inquisitions-Mentalität. „Ich habe ein Tabu zerstört, und jetzt muß ich bestraft werden. So monolithisch unser politisches Leben ist, so süchtig ist unser kulturelles nach Einheit.“

„Krauze hat jedes Recht, diesen Artikel zu schreiben,“ meinte der Schriftsteller Carlos Monsivais, „aber er muß auch mit Antworten rechnen. Die Intensität dieser Antworten zeigt doch, daß es sich weniger um einen literarischen, als um einen politischen Streit handelt.“

Übersetzung: Bettina Bausmann

Aus: Los Angeles Times 19.8.88