: Interview: „Jazz is hard music“
■ Gespräch mit Dave Liebman, der gestern mit „Quest“ im Dix auftrat / Warum die Amis keinen Jazz hören, das Saxophon wie eine Hand und überhaupt Jazz ein Abenteuer ist
taz: „'Quest‘ heißt die Suche. Was wird da gesucht, und was hat die Gruppe gefunden?“
Liebman: Der Name der Band steht für den Sinn fürs Abenteuerliche, mit dem wir zusammen spielen, und der da sein muß, wenn man das schaffen will, was wir Jazz nennen. Viel des heute gespielten Jazz ist nicht so spontan, wie er sein sollte. Mit den Musikern in dieser Gruppe, die zu den besten Improvisatoren der Welt gehören, kann man etwas wagen. Wir sind alle etwa im selben Alter, haben alle den gleichen Erfahrungsschatz von 20 bis 25 Jahren Musizieren. Das macht Quest zu einer besonderen, aber auch schwierigen Gruppe. Es ist ein Balanceakt, gleichwertige Musiker in einer Gruppe zu halten. Jeder hat ein Ego, jeder will seine eigene Gruppe und bestimmen, was die anderen zu spielen haben. Deshalb existieren auch kaum solche Gruppen. Es gibt mal eine All-Star-Tour ( etwa Chick Corea, Jack Dejohnette und Gary Peacock), aber sie spielen nicht für länger, nicht für fünf oder zehn Jahre zusammen. Und wenn irgendwann diese Gruppe aufhört, war es auch vielleicht das letzte Mal für mich, daß ich über längere Zeit mit solchen contemporaries spielen kann. Später werde ich wahrscheinlich, wie alle anderen, Leader in einer Band mit jungen Musikern sein. Und deshalb schätz ich diese Zeit und solche Touren so hoch. Aber die Musik, die wir spielen, ist zu Hause nicht populär. In den USA kann die Gruppe nicht arbeiten.
„Amerikaner können Jazz, ureigenste amerikanische Musik, nur in Europa oder Japan spielen?“
Liebman: „Genau. Es ist sehr schwer, in Amerika sophisticated Musik zu spielen. Das Publikum hat ein sehr niedriges Geschmacksniveau. Sie haben wenig Ausbildung in solchen Dingen, und es wird immer schlimmer. Und der Jazz ist schwere Musik, auf die die Menschen sich wirklich einlassen müßen. Jazz ist auch nicht dazu bestimmt, populär zu sein. Genausowenig wie Beethoven. Es wär natürlich toll, wenn alle Jazz verstehen würden, aber es geht nicht: Die meisten haben keine Zeit dafür. Ich erwarte gar nicht, daß viele Leute die Geduld haben und sich hinsetzen, und zwanzig Minuten einen Song anhören, mit all den komplizierten Verwicklungen. Ich bin auch nicht anders als sie: Wenn ich ins Kino gehe, und es dauert zu lange, bis es zur Sache geht, werde ich genauso ungeduldig und geh raus. Jazz ist für Leute, die etwas Tieferes von der Musik wollen. In Europa gibt es solch ein Publikum für Jazz, auch für klassische Musik oder neue klassische Musik. Das sind zwar auch Minderheiten, aber sie sind viel stärker als in den Staaten.“
„Warum spielen Sie jetzt nur noch Sopransaxophon?“
Liebman: „Ich hab jahrelang mit viel Vergnügen Tenorsaxophon und Flöte gespielt. So um 1980 hab ich mich entschieden, all meine Energie auf das Instrument zu konzentrieren, das ich am besten beherrsche. Es ist unmög
lich, auf allen Saxophonen großartig zu sein. Eins der großen Ziele ist, daß man die Sprache des Jazz und die Technik überwindet, sein Instrument hinter sich läßt. Wenn man wirklich great ist, ist der Stil nicht mehr wichtig. Dann wird das Horn so sehr ein Teil von dir, daß man den Menschen hört und nicht mehr das Instrument. Um das zu erreichen, muß das Instrument wie deine Hand werden. Du denkst ja nicht mehr über deine Hand nach.“
„Gehen sie gerne auf Tour? Ich meine das ganze drumherum, im Hotel schlafen, im McDonalds essen, Interviews geben.“
Liebman: „Für eine gewisse Zeit, ja. Ich würde es nicht für 8 oder 10 Monate im Jahr machen. Zwei bis drei Mal im Jahr mach ich das sehr gerne, denn du spielst jede Nacht. Das beschäftigt mich die ganze Zeit, zu spielen, und zum Gig zu kommen: Kein Telefon, keine Rechnungen, kein Haushalt. Das macht alles sehr einfach und ich kann mich auf die Musik konzentrieren, und da ertrage ich auch die Schwierigkeiten: Manchmal ist es sehr unangenehm: man spielt in miesen Schuppen, das Essen schmeckt nicht, die Leute sind unfreundlich und die langen Anreisen. Hierher bin ich zwölf Stunden mit dem Transporter gefahren. Aber es ist in Ordnung, weil ich jede Nacht mit einer guten Band spielen kann. Big Money machen wir ganz bestimmt nicht mit dieser Art von Musik.“
Interview und Übersetzung Willy Taub
Konzertkritik steht nebenan
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen