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KULTURAUSVERKAUF

■ Von der Vertreibung eines Kleinods aus der Berliner Galerienlandschaft

Berlin verliert eine seiner bedeutendsten Galerien, die Galerie Neiriz, eine Galerie für antike Teppiche und Kelims. Ein Teppichladen, Teppichhändler - das erinnert leicht an Pferdehändler, Gebrauchtwagenhändler und Wohnungsmakler.

In der Tat, die Galerie Neiritz hat seit etwa zehn Jahren, die letzten Jahre am Kurfürstendamm, Teppiche verkauft. Sie hat Gewinn erwirtschaftet.

Die Galerie Neiriz ist schnell in die Creme deutsche Antiquitätenhändler aufgestiegen, auch die mehrfache Teilnahme an der „Berliner Orangerie“ zeugt davon. International hat sich die aus dem Nichts heraus aufgebaute Galerie vor allem für ihre Kelims einen Namen gemacht. Die bedeutende Fachzeitschrift „Hali“, deren erste Exemplare inzwischen für horrende Summen gehandelt werden, hat mehrfach über sie berichtet, eines der schönsten Stücke hat sich die Zeitschrift auserbeten, auf einer ihrer Ansichtskarten nachzudrucken.

Die Galerie ist ein international erfolgreiches Geschäft geworden, ein Pferdehändler war sie und ist sie mitnichten. Ihre Geschäfte fanden völlig losgelöst statt von den an das 19.Jahrhundert erinnernden Wechselgeschäften der deutschen Orienttepichhändler-„Mafia“, die sich als organisierte Exporteure über das Vergeben von Kommissionsware gegen Wechsel ein Netz von hoffnungslos abhängigen Kleinhändlern geschaffen haben; erzwungene Räumungsverkäufe zugunsten der Exporteure, ein Markenzeichen der Orientteppichläden, inbegriffen. Die Galerie Neiriz hat ihre Ware, zumeist Persische, vor Ort selbst erstanden, exportiert und unabhängig verkauft. Die persischen Fliesen in ihren Galerieräumen haben sogar die Galeristen, weil nicht anders möglich, eigenhändig verlegt.

Ihre Geschäfte unabhängig betrieben zu haben, das war für ihren Erfolg nicht hinreichend. Die Auswahl im Kauf und Verkauf, auch die Präsentation, statt in Kuben übereinander gehäufter Teppiche wie in Teppichläden üblich, mußte kunsthistorisch und kunstgegenwärtig anspruchsvollen Kriterien genügen, durfte nicht einem leicht zu bedienenden Markt folgen. Die drei Galeristen der Galerie Neiriz besaßen dafür die besten Voraussetzungen.

Zwei von ihnen sind ausgebildete Kunsthistoriker und Kunstmaler. Einer verfügt über eine kaufmännische Ausbildung. Alle drei stammen sie aus unterschiedlichen Nationen - eine Deutsche, ein Engländer, ein Perser, und sie alle drei wurden in ihrer Lebenshaltung geprägt von einem Klima des Berlin nach der Revolte von achtundsechszig, teilweise seit Beginn, teilweise durch die Auswirkungen dieser Kulturrevolte. So waren sie in der Lage, einen unbelasteten Zugang zu dieser Halbmetropole zu finden, ein Umstand, der sich als bedeutsam erweisen sollte.

In den Zentren des Internationalen Teppichkunsthandels waren die Kunstmärkte in den Händen von seit Generationen aufgebauten Lobbys der Macht und des Geldes. Andere Orte waren zu entlegen oder zu arm oder zu fremd. Nur in der eigentümlichen Diaspora von West-Berlin war ein auch durch das Dritte Reich weitgehend leergeräumtes und nie so recht nachgewachsenes Feld bei noch immer und wieder kräftigen kulturellen und finanziellen Bodenverhältnissen vorhanden, nur hier war der Neuaufbau einer solchen Galerie in so kurzer Zeit möglich. Die Galerie hat konsequenterweise mit dem hervorgehobenen Zusatz „Berlin“ geworben.

Den drei Galeristen ist es gelungen, in Ausstellungen antiker Teppiche und Kelims vor allem der persischen Nomadenkultur, in Ausstellungen mit antiken Wagirehs, Nomadentaschen und anderen kulturellen Kostbarkeiten, die orientalische Kultur der westeuropäischen nahezubringen, manchmal, in ihren Gemäldeausstellungen, zu denen sie aufwendige Kataloge produziert haben, miteinander zu verbinden. Mit einer Ausstellung über die hier kaum bekannte, wie sich zeigte, höchst bedeutsame Textilkunst der DDR, wie auch mit Gemäldeausstellungen von DDR-Künstlern, haben sie einen Beitrag geleistet, die kulturelle Spaltung der beiden Deutschlands zu überbrücken, eine Spaltung, wie sie augenfällig besteht gerade im musealen persischen Erbe dieser Stadt, in der Spaltung des weltbedeutenden islamischen Museums.

Antike persische Nomadenkunst mit Wolle und (durch bäuerliche Einflüsse) Baumwolle wie sie die Galerie Neiriz präsentiert hat, erschien den Galeristen nicht nur gewichtig für den geistigen Austausch zwischen westlicher und östlicher Kultur (insbesondere für eine Stadt wie West -Berlin mit ihrem immens hohen Anteil orientalischer Kunst), sie erschien ihnen bedeutsam für die künstlerisch-kulturelle Bildung der Gesellschaften überhaupt. Gerade antike Teppiche und Kelims besitzen einen Formen- und Farbenreichtum, besitzen Farbharmonien, wie sie in der gesamten westlichen Kunst nur selten und nur in den qualitätvollsten Äußerungen zu finden sind. Die antiken Teppiche, Kelims, Wagirehs, Taschen und Krippen - und das Wort antik muß betont werden stellen eine einzigartige Verbindung eines über die Jahrtausende entwickelten geistigen Kulturguts mit einem aus dem Volk, vor allem den Nomandenvölkern über die Jahrtausende erwachsenen, praktischen Handwerk dar, eine Verbindung, aus der sich in manchen Fällen eine höchste Blüte menschlicher Kunst, durch die Stoffartigkeit dem Menschen, dem menschlichen Körper, nächster Kunst entwickelt hat. Eine Tatsache, die in den westlichen Kunstströmungen auch dieses Jahrhunderts von unschätzbar großer Bedeutung war. Die Entwicklung des Jugendstils wäre nicht denkbar ohne die Muster des Orients, ohne die Formen und Farben des Orients hätten sich Maler wie Matisse, Klee, Albers so nicht entwickelt.

In der Zukunft, das sei behauptet, wird der Reichtum an Ornamentik und Farbkomposition dieser orientalischen jahrtausendealten Kunst, nach einer Gegenwart, in der die Architektur in naiv-hilfloser Weise sich mit einer Postmoderne gegen einen übermächtigen Funktionalismus zu erwehren sucht, in der das Neue Wilde mit seiner schnellebig plakativen Kunst sich als Strohfeuer erweist, in der man Angst hat vor einem neuen hemmungslosen Historismus, ungeahntes Interesse finden.

Der Galerie Neiriz ist für ihre Arbeit zu danken. Die vielleicht mögliche Ausstellung ihrer unverkäuflichen weltbedeutenden, in mancher Hinsicht einzigartigen Sammlung bleibt für einen nächsten Monat zu erhoffen. Auf eine Galerie Neiriz - auf jeden Fall in der bisherigen Form wird hier wohl verzichtet werden müssen.

Die Galerie Neiriz in Berlin muß aufgeben. Der Ankauf antiker Teppiche ist schwieriger geworden, der Vorrat erschöpft sich zunehmend. Das wäre kein Grund für den Ausverkauf. Die Galerie Neiriz in Berlin muß aufgeben aufgrund der Boden- und Finanzspekulation in der Berliner City. Der Vermieter der Galerieräume, Ivan Zogratski, am Kurfürstendamm, wegen der notwendig aufwendigen Präsentation und Lagerung sehr große Räume, spekuliert auf einen Bankenboulevard, ganz im Sinne wohl auch einer sogenannten „Kunstmeile“, im Rahmen derer die Gemälde schon jetzt in den Auslagen der Banken zwischen der Werbung für höhere Renditen drapiert werden. Die Miete wird um 100 Prozent erhöht werden, der Nachfolger, eine Bank, soll bereits gefunden sein. Ein kulturell bedeutendes Markenzeichen, eines der wenigen noch vorhandenen auf dem Kurfürstendamm, wird einer Entwicklung hin zur kulturell ausgebluteten Geschäftsmeile weichen, so wie es einer Buchhandlung Marga Schoeller und vielen anderen schon vor Jahren ergangen ist. Die Politik des Senats, den Kurfürstendamm einem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen, trägt ihre Früchte. Bleibt zu hoffen, daß die Kulturgewaltigen dieser Stadt zusammen mit den Mächtigen sich besinnen werden, vielleicht einmal in diesem Falle. Die Galerie wird der Stadt, dem Land, ansonsten, wie es aussieht, nach New York verloren gehen. Sie zu halten wäre eine kulturpolitische Aufgabe. Ein kulturpolitisches Muß sollte es sein, zumindest die Sammlung der Galerie, der Öffentlichkeit zugänglich, in der Stadt zu halten, eine Sammlung, schon jetzt von für die Kultur dieser Stadt unschätzbarem Wert, relevant auch für eine auf den einträglichen Tourismus ausgerichtete Kulturpolitik, das sei gesagt Herrn Hassemer, Herrn Kewenig, Herrn Diepgen, und wie sie alle heißen mögen, die sich ihre Räume mit den sie und ihre Kinder bildenden Kulturschätzen längst ausstaffiert haben, haben konnten.

Roland Stelter

Der Ausverkauf der Galerie findet gegenwärtig statt bis zum 5. November mit um die Hälfte reduzierten Preisen. Galerie Neiriz, Kurfürstendamm 175, Mo-Fr, 10-20 Uhr. Ein Buch von zwei der Galeristen, Karin Pregley und Hamid Sadighi, über die Kelim-Kunst und die Kulturgeschichte der Nomaden ist im Druck. „Kelims der Nomaden und Bauern Persiens. Eigenverlag. Vertrieb über Hali. Englisch-Deutsch.“

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